Fr. 27.02.15Sprach-Barrieren bei Spitex-Leistungen
Text: Beatrice Widmer
Mögliche Hürden für die Nicht-Inanspruchnahme von Spitex-Leistungen durch die Migrationsbevölkerung in der Schweiz
Der Anteil von Spitex-Klientinnen und Klienten mit Migrationshintergrund nimmt zu. Trotzdem herrscht im ambulanten Bereich zum jetzigen Zeitpunkt noch eine Unterversorgung dieser Bevölkerungsgruppe. Warum ist das so? Welche Hürden sind begünstigend für die Nicht-Inanspruchnahme von Spitex-Leistungen?
In der, für den ambulanten Bereich wegweisenden Studie Pflegearrangements und Einstellung zur Spitex bei Migrantinnen und Migranten in der Schweiz (Publikation: April 2013, im Auftrag des Nationalen Forums Alter und Migration und unterstützt vom Bundesamt für Gesundheit, BAG) wurden die Nutzung und Einstellung der Migrationsbevölkerung zur Spitex näher beleuchtet. An dieser Stelle soll nun zusammenfassend darauf eingegangen werden.
Sprachliche Hindernisse und mangelnde Kenntnisse der Spitex-Dienstleistungen
Grundsätzlich ist die Spitex in breiten Kreisen der Migrationsbevölkerung noch zu wenig bekannt und wird daher eher weniger genutzt. Mangelhafte Sprachkenntnisse können hierfür mitverantwortlich sein. So wird in der Studie erwähnt, dass Migrantinnen und Migranten mit niedrigem Bildungsniveau Informationsunterlagen, die in ihrer Muttersprache oder in der am Wohnort entsprechenden Landessprache verfasst sind, nur ansatzweise verstehen. Ferner wurde beobachtet, dass sie zu wenig über ihre Rechte bezüglich Unterstützungsangebote (insbesondere für alte Menschen) informiert sind. Im weiteren werden Vorinformationen im Falle eines Unterstützungsbedarfes im Zusammenhang mit dem Alter zu wenig beachtet. Erkundigungen zu entsprechenden Angeboten werden erst eingeholt, wenn der Zeitpunkt dafür eingetreten ist.
Es ist daher empfehlenswert, dass Spitex-Organisationen Veranstaltungen von Ausländer-Organisationen als Auftrittsplattform nutzen. Vor Ort können einerseits Informationen zu den Dienstleistungen erfolgen. Andererseits kann in direkter Weise und individuell auf Fragen und Anliegen eingegangen werden, was für beide Seiten gewinnbringend ist.
Emotionale Hürde
Die Annahme von «fremder Hilfe» kann in Migrationskreisen als beschämend, ja sogar als Versagen des ganzen Familiensystems empfunden werden. Denn, bei Bedürftigkeit stehen nicht organisatorisch-praktische Anliegen im Vordergrund, sondern das vertraute, familiäre Wertesystem, welches Sicherheit vermittelt. Probleme werden tendenziell innerhalb der eigenen Systeme angegangen. Vertrauensbildende Massnahmen spielen also eine zentrale Rolle. Eine schrittweise Gewöhnung an Unterstützungsleistungen zu Hause scheint für die Betroffenen und ihr Umfeld hilfreich zu sein. Die erste Kontaktaufnahme durch die Spitex, bereits im Spital, hat sich bewährt. So kann gleichermassen eine Zustimmung für die Einsätze und einen ersten Zugang zum Familiensystem erlangt werden.
Zeitdruck und inkonstanter Personaleinsatz sind eine spezielle Herausforderung für diese Patientengruppe und ihr familiäres Umfeld. Sie legen sehr Wert auf Beziehungen, die auf Grundvertrauen basieren und haben das Bedürfnis, Verständnis und Zuwendung zu erfahren. Die Betreuung sollte deshalb durch einen kleinen Mitarbeiterstab geleistet werden. Bei der Bedarfserhebung soll den Leistungsempfängern und Angehörigen mitgeteilt werden (mündlich und schriftlich), welche Personen, in welchem Status in die Situation involviert sind. Dies, damit klar ist, wer in welchem Kontext die Mitverantwortung trägt für die Betreuungssituation.
Kenntnisse über die kulturspezifischen Eigenheiten der zu betreuenden Personen sind unerlässlich. Deren biografische und soziokulturelle Hintergründe sollen sorgsam eruiert werden. Eine Förderung der transkulturellen Kompetenz der Mitarbeitenden ist dabei von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Kenntnisse über Einstellungen zu Gesundheit, Krankheit, Pflege, Alter und Sterben in verschiedenen Kulturen.
Die Tatsache, sich körperlich einer fremden und/oder gar andersgeschlechtlichen Person anzuvertrauen, kann höchst belastend sein. Deshalb muss seitens Spitex in Betracht gezogen werden, Angehörige in die Pflege miteinzubeziehen, im Sinne von Anleitung in der Grundpflege.
Weitere Hindernisse können Misstrauen und Ängste gegenüber Ämtern und öffentlichen Institutionen sein. Somit können Widerstände beim Unterzeichnen von Dokumenten oder bei der Offenlegung der finanziellen Situation auftreten.
Mangelde Kenntnisse über das Administrativsystem im schweizerischen Gesundheits- und Sozialwesen stellen eine weitere Hürde dar. Es herrscht nicht generell, aber oft Unklarheit darüber, was mit den persönlichen Daten und Informationen geschieht.
Organisation und Arbeitsweise der Spitex
Ressourcenorientiertes Betreuungs- und Pflegegrundverständnis kann Irritation oder gar Unverständnis auslösen. Fürsorgliches Umsorgen kann im Vordergrund stehen, nicht die Befähigung zur Selbsthilfe. Ein allfällig differentes Rollenverständnis von Patient und Fachperson muss berücksichtigt werden. Um dem entgegenzuwirken, ist die diesbezügliche Erwartungshaltung der Patienten bereits vor dem ersten Einsatz zu klären. Nur so können für alle involvierten Kreise sinngebende Zielsetzungen und Massnahmen formuliert und umgesetzt werden.
Im Verrechnungsmodus der Spitex ist die Zeit für die zum Teil komplexe Kommunikation und den damit verbundenen Beziehungsaufbau in ungenügendem Masse vorhanden. Dadurch ist es auch nur begrenzt möglich, auf wichtige Fragen und Anliegen des Leistungsempfängers einzugehen. Hier herrscht entschieden Handlungsbedarf, nicht nur seitens Spitex-Organisationen!
Beatrice Widmer
Schulungszentrum Gesundheit SGZ
Programmleiterin Bildung
beatrice.widmer@zuerich.ch
angebot.wissen-pflege-bildung.ch