Mo. 30.10.17Lasst uns das Kind beim Namen nennen
Text: Lucia Zimmermann
Heute möchte ich ein Thema ansprechen, das nicht ganz einfach ist. Aber es muss mal sein.
Soeben habe ich telefoniert. Mit einer Pflegefachfrau nicht deutscher Muttersprache. Es war schwierig. Ich verstand lange nicht, was sie von mir wollte und warum sie gerade mich angerufen hat. Sie arbeitet schon in der Schweiz und will, das habe ich dann nach zehn Minuten verstanden, ihr ausländisches Diplom anerkennen lassen. Das ist ja mal gut und wir wissen alle, dass es ohne ausländische und fremdsprachige Pflegefachkräfte nicht geht. Eigentlich schätze ich die Vielfältigkeit, neudeutsch Diversity, und bewundere, wie multikulturelle Teams in der Pflege gute Arbeit leisten. Aber die Deutschkenntnisse manchmal … Das ist wirklich mühsam für alle Beteiligten.
Ich blieb am Telefon nett und geduldig. Ich versuchte zu verstehen. Wiederholte, was ich von ihren Aussagen verstanden hatte, formulierte meine Sätze um, damit sie mich verstehen konnte. Natürlich auf Hochdeutsch, was ich ja zum Glück sehr gerne spreche.
Irgendwann musste ich es ihr einfach sagen: «Hören Sie, Sie müssten meiner Meinung nach noch besser Deutsch lernen für die Arbeit in der Pflege. Ich finde es sehr anstrengend, mit Ihnen zu telefonieren und ich habe Mühe, zu verstehen, was Sie von mir wollen.»
Achtung Verletzungsgefahr
Das hat sie getroffen. Sie versicherte mir sofort, dass ihr Deutsch gut ist, dass sie viele Bücher gelesen habe und ihre Pflege auch gut sei und immer alle zufrieden mit ihr. «Aber ich finde es sehr schwierig, mit Ihnen zu telefonieren.»
Natürlich tat sie mir leid, ich wollte sie ja nicht verletzen. Aber ich bin überzeugt davon, dass zu einer guten Pflege auch eine klare und differenzierte Kommunikation gehört und die ist nur möglich, wenn die Sprache eine solche erlaubt. Auch per Telefon. In Kursen und Beratungen treffe ich immer wieder Mitarbeitende aus der Pflege, die ich fast nicht verstehe, obwohl sie zum Teil schon einige Jahre in der Schweiz in der Pflege tätig sind. Oft ist es wegen sehr undeutlicher Aussprache, wegen unverständlichen Satzstellungen, verschluckten Worten oder einfach wegen fehlendem Wortschatz.
Eigentlich ist es ja nicht schlimm, wenn jemand nicht perfekt Deutsch kann. Eine Fremdsprache lernen braucht Zeit, Anstrengung und Geduld. Von allen, auch von Arbeitskolleginnen und Vorgesetzten. Aber leider scheinen viele fremdsprachige Kolleginnen irgendwann aufzuhören, an ihrem Deutsch zu arbeiten. Sie finden ihr Deutsch gut genug und das der anderen ist ja auch nicht besser oder gar «noch mehr schlecht.»
Beruflich weiterkommen
Diese Personen kommen beruflich nicht weiter. Sie können in Kursen und Weiterbildungen kaum folgen und schlecht in fachlichen Diskussionen mithalten. Die Karrieremöglichkeiten sind entsprechend eingeschränkt. Oft bleiben gut qualifizierte Fachpersonen in Positionen und Tätigkeiten stecken, die nicht ihren fachlichen Fähigkeiten entsprechen, weil ihr Deutsch zu wenig gut ist. Sie werden manchmal nicht wirklich ernst genommen, weil es anstrengend ist, sie zu verstehen. Je mehr Zeit vergeht, je länger eine Person schon in der Schweiz arbeitet und lebt, desto schwieriger wird es, ihr einfach zu sagen, dass die Kommunikation wegen der Sprache wirklich erschwert ist.
Natürlich ist das ein schwieriges Thema, das den Betroffenen nahe geht. Niemand lässt sich gerne seine Defizite vorhalten. Aber im Sinne einer besseren Verständigung und letztendlich einer besseren Pflege und Betreuung müssen Kolleginnen/Kollegen und vor allem Vorgesetzte manchmal einfach den Mut haben, das Kind beim Namen zu nennen.
Unterstützung
Als Unterstützung hier ein paar Formulierungen, die vielleicht hilfreich sind
- Ich möchte gerne mit dir diskutieren, aber ich muss mich sehr anstrengen, um zu verstehen, was du meinst …
- Ich verstehe deine Aussprache nicht, sie ist zu undeutlich.
- Bitte lerne besser Deutsch, denn deine Ideen und Meinungen interessieren mich.
- Wie kann ich dir helfen, dein Deutsch zu verbessern?
Oder mal an einer Teamsitzung darüber sprechen, wie es so geht mit der sprachlichen Verständigung und Ideen entwickeln, was gemeinsam getan werden könnte.
Und dann gibt es ja zum Glück Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitenden Angebote machen. Zum Beispiel Deutschkurse am SGZ speziell für die Bedürfnisse der Pflegenden entwickelt.
Lucia Zimmermann
Schulungszentrum Gesundheit SGZ
Programmleiterin Bildung
lucia.zimmermann@zuerich.ch
angebot.wissen-pflege-bildung.ch
Liebe Frau Zimmermann,
Ihre Texte hat mir tief getroffen , meinen Tränen einfach fliessen lassen. Tränen von Frust , Tränen von Glück um es zu lesen das diese Fase wo ich mich gerade bei Deutsche Sprache finde, ist das schwierigste. Man fühlt sich ganz alleine und verloren , ich frage mich wie kann ich weiter meine Sprachkenntnisse verbessern und meine Fachkompetenz richtig zeigen und die andere zu überzeugen, auch bei eine Diskussion. Das ist wahnsinnig schwer mir nicht verunsichert zu fühlen .
Gibt leider sehr wenig oder kaum Möglichkeiten für diese Situation ein kurz oder Unterstützung zu suchen. Oder doch?
Liebe Frau Rivera
Danke für Ihren sehr persönlichen Kommentar. Ich kann Sie gut verstehen. Mit dem Text will ich das Gespräch darüber anregen. Wenn viele darüber sprechen, fühlen sich die einzelnen weniger alleine und verloren. Das Sprachproblem ist nicht nur Ihres. Und glauben Sie mir, meine Französisch- oder Englischkenntnisse würden auch noch nicht reichen, um professionell zu pflegen.
Und natürlich gibt es Kurse, sogar speziell für Pflegepersonal. Kommen Sie doch mal bei uns vorbei.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg in der Arbeit und beim Deutsch vertiefen.
Freundliche Grüsse
Lucia Zimmermann
Besten Dank für diesen Blog. Mutig, das solche Probleme angesprochen werden die Bewohner und Mitarbeiter in der Praxis seit Jahren gleichermassen erleben.
Für mein empfinden schiesst der Beitrag jedoch am Ziel vorbei! Er berücksichtigt nur die Menschen, die schon lange in der Schweiz sind und nicht vorwärts gemacht haben in ihrer Deutschsprachentwicklung. Doch, was ist mit denen, die erst gerade in die Schweiz gekommen sind, ebenfalls im Gesundheitswesen arbeiten und am Telefon mit diesen Unterstützungssätzen konfrontiert werden?
Ich würde es mich nicht trauen, einem fremden unbekannten Gegenüber solch ein Angebot zu unterbreiten.
Ich gehe davon aus, das die Bloggerin gedanklich die Abgrenzung, wann so ein Satz tatsächlich gesagt werden könnte, vollzogen hat.
Danke für den Kommentar.
Ich glaube, ein Teil des Problems ist, dass wir uns oft nicht trauen, das Thema anzusprechen. Oder nicht wissen, wie.
Oder viele Gründe finden, warum es jetzt und in dieser Situation gerade nicht geht, darüber zu sprechen.
Ich wünsche uns allen den Mut, auch heikle Themen respektvoll anzusprechen. Ich übe weiter…
Liebe Lucia, ich finde deinen Artikel sehr gut und wichtig, das dieses Thema diskutiert wird. Oft erarbeiten sich fremdsprachige Menschen ein gewisses Sprachniveau und hören an einem Punkt auf. Sie können sich verständigen und verstehen auch, nur reicht das nicht wirklich aus. Sprachkompetenz ist eine wichtige Voraussetzung für eine professionelle Pflege und Betreuung. Menschen, welche wir pflegen und betreuen, äussern sich oft weniger, wenn sie das Gefühl haben, ihr Gegenüber versteht sie nicht richtig. Die eigene Wirkung auf Betroffene und deren Angehörige sowie auf andere Berufsgruppen, ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Denn Fachkompetenz wird oft auch über Sprachkompetenz wahrgenommen, auch wenn es nicht wirklich der Realität entspricht. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird einfacher, wenn keine Sprachbarrieren bestehen. Ich wünsche vielen Menschen den Mut, sich mit dieser Thematik tiefer zu befassen.
Liebe Maren
Danke für deinen Kommentar. Ich kann dir nur recht geben.
Bleiben wir dran und sprechen mit unseren Kolleginnen drüber.