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Wer einmal lügt …

dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.

Diese Redewendung verkörpert eine weitverbreitete gesellschaftliche Grundeinstellung. Nämlich, dass die vorsätzliche Täuschung von Mitmenschen als beschämend, verwerflich und gar unmoralisch empfunden wird. Obwohl wir alle wissen, dass eine Täuschung nicht in jedem Falle vermeidbar ist.

Jeder Realitätsverlust kann eine Scheinwelt erzeugen. Dies trifft gerade auf die Wirklichkeit von Menschen mit Demenz zu, die nicht immer kongruent mit derjenigen des Umfelds ist. Das Gegenüber ist in solchen Situationen nicht selten einer Dilemma-Situation ausgesetzt und es gilt folgende Herausforderung zu meistern: Soll die Person nun mit der Realität konfrontiert oder aus fürsorgerischen Motiven getäuscht werden? In diesem Zusammenhang kann es hilfreich sein, sich in einem ersten Schritt mit den Täuschungsformen auseinanderzusetzen.

 

Täuschung ist ein Oberbegriff

Täuschung ist ein Oberbegriff für diverse Praktiken, die bewusst und unbewusst eine Fehlvorstellung auslösen. Diese kann von aussen initiiert oder im Menschen selber, in Form von Selbsttäuschungen, geschehen. Unwahrheiten in Umlauf bringen, ist weit verbreitet und gehört auch zu den Täuschungspraktiken. Dabei ist eine Person davon überzeugt, die Wahrheit zu kennen und fühlt sich dazu berechtigt, sie zu verbreiten. Diese entspricht jedoch nicht den effektiven Tatsachen. Eine Lüge wird ausnahmslos vorsätzlich verbreitet, mit dem Ziel, beim Gegenüber eine nicht der Wahrheit entsprechende Überzeugung durchzusetzen. Ein absichtsvolles «in die falsche Richtung» Lenken ist ebenso eine Täuschung und wird als Irreführung bezeichnet. Im Zusammenhang mit Demenz, ist diese Täuschungspraktik ein omnipräsentes Thema. Denn sie wird im Gegensatz zur Lüge oft als weniger verwerflich betrachtet, obwohl sie einen ebenso manipulativen Charakter aufweist. Der Einsatz von Scheinelementen – wie fiktive Bushaltestellen, Zugabteile, Pflegerobben sowie weitere realitätsnahe Objekte – haben sich mittlerweile als therapeutische Massnahme für demenzbetroffene Menschen etabliert. Ihre Legitimation ist jedoch in Fachkreisen nicht unumstritten.

 

Täuschungen sind nicht immer zu vermeiden

Auch nicht im Umgang mit Menschen mit Demenz. Da sollen sie jedoch mit besonderem Bedacht und nicht unreflektiert oder gar aus purer Gewohnheit und Bequemlichkeit zum Einsatz kommen.

Einer Täuschung sollen immer fürsorgerische Motive zu Grunde liegen. Im Weiteren soll über den Zweck (beispielsweise Verminderung von Not) und die Form (z. B. Irreführung) Klarheit geschaffen werden. Zur Täuschung von Menschen mit Demenz wurde 2011 in den USA eine qualitative Studie gemacht, die die obigen Aussagen bekräftigen. Dazu wurden vierzehn noch urteilsfähige Demenzbetroffene zu unterschiedlichen Täuschungspraktiken und deren Komplexität in der Pflege befragt. Alle Vorgehensweisen – inklusiver der Lüge – wurden akzeptiert. Dies unter zwei Voraussetzungen: Eine Täuschung darf nicht als solche erkannt werden, da sie stark negative Auswirkungen auf das Selbstbild der betroffenen Person hat. Ferner leidet die Vertrauensbeziehung zur Bezugsperson zu sehr. Es darf nur eine Täuschung vollzogen werden, wenn das «beste Interesse» für die betroffene Person erwartet werden kann. Alle Probanden waren sich einig, dass unter «bestem Interesse» die Vermeidung oder Verminderung von Leid und Not gemeint ist.

 

Und was bedeutet das nun?

Bei unzutreffenden Wahrnehmungen und dementsprechenden Äusserungen ist ein korrigierendes Eingreifen nicht angezeigt. Denn es kann unter anderem als Kränkung empfunden werden. Bei stetigem Verlust von autobiografischen Zusammenhängen können somit auch Interventionen wie Ablenkungsmassnahmen oder gar Täuschungselemente zum Einsatz kommen. Dies allerdings nur, wenn die oben geschilderten Rahmenbedingungen erfüllt sind.

Das Täuschungselement der Lüge ist keine Massnahme, um bei Menschen mit Demenz eine neue Wirklichkeit zu erzeugen oder um ihnen Geschichten vorzugaukeln. Sie soll nur dann zur Anwendung kommen, wenn Not und Leid vermieden werden muss und wenn andere Massnahmen schwerwiegendere Konsequenzen für die betroffene Person haben. Denn sie ist mit einer freiheitseinschränkenden Massnahme gleichzusetzen.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig nochmals zu erwähnen, dass auch Irreführungen mit Bedacht angewendet werden sollen, denn sie sind grundsätzlich nicht als legitimere Massnahme zu betrachten und an zwei Bedingungen geknüpft. Das Gegenüber muss dabei in seiner Persönlichkeit respektiert werden. Auch darf dabei keine Gefährdung der Vertrauensbeziehung in Kauf genommen werden.

Scheinelemente sind kein Ersatz für zwischenmenschliche Zuwendung. Wenn sie jedoch dazu beitragen können, die autobiografische Erinnerungspflege und positive Emotionen zu wecken oder die Bindung zu Bezugspersonen zu stärken, so ist es auch unterstützend für das Wohlbefinden der demenzbetroffenen Person und legitim in der Anwendung. Menschen mit Demenz sollen Scheinelemente freiwillig nutzen dürfen und jederzeit die Möglichkeit haben, sich selbstständig anderem zuzuwenden.

 

Lügen haben kurze Beine! Auch bei Menschen mit Demenz?

In unserem Symposium aus der Reihe «Zürcher Trendthemen Langzeitpflege» am 20. Juni 2019 widmen wir uns genau dieser Thematik. Wir freuen uns, dass wir dafür renommierte Referierende gewinnen konnten, die aus der Praxis berichten und über die ethischen Aspekte reflektieren. Lassen Sie sich diesen spannenden Anlass nicht entgehen!

 

Beatrice Widmer
Schulungszentrum Gesundheit SGZ
Programmleiterin Bildung
beatrice.widmer@zuerich.ch
angebot.wissen-pflege-bildung.ch

Kommentare: 3 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Pflege & Betreuung

Kommentare zum Artikel

  1. UWE PLONSKI Kommentar vom 28.03.2019

    Hallo Frau Widmer
    Schade kam das Mail so spät, hätte mich sehr für diese Veranstaltung interessiert. Leider ist der Dienstplan schon geschrieben. Wäre es möglich die Händouts zubekommen?
    Gruß Uwe Plonski
    Trainer für Aggressionsmanagement

    • Beatrice Widmer Kommentar vom 29.03.2019

      Guten Tag Herr Plonski

      Ganz herzlichen Dank für Ihre Anfrage und das Interesse an der Veranstaltung. Sehr gerne werde ich Ihnen im Anschluss an die Zürcher Trendthemen Langzeitpflege die entsprechenden Handouts zukommen lassen.
      Ich grüsse Sie herzlich und wünsche Ihnen eine ganz gute Zeit

      Beatrice Widmer

  2. Khalid Fatam-Bryner Kommentar vom 25.05.2023

    Guten Tag
    ..und was soll ich eine Demente Bew. antworten, die ihre Töchtern sucht und schon lange gestorben sind (eine davon einen suizid vor ihre Diagnose geübt hat). Die Bew. ist unruhig, hat einen weglaufdrang und das pflegendes Team ist deswegen ihres Herausforderndes Verhaltens überbordet.
    Lg
    Khalid

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