Di. 25.08.20Ethische Probleme haben viele Ursachen (2. Teil)
Text: Beatrice Widmer
In der Fachliteratur wird der Begriff «ethisches Problem» unterschiedlich definiert. Einerseits kann ein solches verursacht werden, wenn Menschen ein «offensichtlich ethisches Defizit» haben und unbewusst oder bewusst gegen gesellschaftliche Regeln, Werte und Prinzipien verstossen. Andererseits wird der Begriff auch verwendet, wenn bezüglich einer ethisch angemessenen Handlungsweise Unsicherheiten bestehen. Beispielsweise in Pflegesituationen, bei denen es Hinweise gibt, dass zu viel, zu wenig, oder das Falsche getan wird. Auch dann, wenn der Verdacht auf eine ungerechte Vorgehensweis besteht.
Pragmatische Ethikstrukturen für den Alltag
In meinem letzten Blogbeitrag vom Juli bin ich auf die Ursachen von ethischen Problemen eingegangen. Nun möchte ich aufzeigen, wie betriebliche Ethikstrukturen im Alltag umgesetzt werden können. Und zwar mit einem institutionellen Ethikprogramm zur weitgehend eigenständigen ethischen Entscheidungsfindung in komplexen Situationen. Das explizit für die ambulante und stationäre Langzeitpflege entwickelte Programm namens METAP II besteht aus einem vierstufigen Verfahren. Es wurde im Institut für Pflegewissenschaften der Universität Basel, in Zusammenarbeit mit Praktiker/-innen aus unterschiedlichen Berufsgruppen entwickelt. Der Begriff METAP steht für Modular, Ethik, Therapie, Allokation und Prozess. Das aus zwei handlichen Nachschlagewerken bestehende Ethikprogramm beinhaltet zum einen fundierte Stellungnahmen zu den Entstehungsbedingungen von ethischen Problemen. Zum anderen, und dies unterstützt die Entscheidungsfindung des Pflegepersonals ungemein, sind darin praktikable Lösungsstrategien enthalten.
Vierstufiges Verfahren zur ethischen Problemlösung
Stufe 1: Kurzanalyse zur eigenen Orientierung
Bei Hinweisen auf eine ethisch unangemessene Situation, orientiert sich die Pflegeperson selbstständig. Dies geschieht systematisch mit der Checkliste «Identifikation des ethischen Problems». Die Checklisten-Fragen sind unter anderem nach den vier medizinethischen Prinzipien der Selbstbestimmung, Schadensvermeidung, Gerechtigkeit und Führsorge geordnet. Die Fragen grenzen das Problem mit explizitem Bezug zum Patientenwillen ein. Möglicherweise wird der Fachperson nun klar, dass ihr praxisbasiertes Wissen fehlt. Oder, dass zu dieser Situation wichtige Informationen fehlen, die noch eingeholt werden müssen. Trifft dies zu, so kann anhand der «Checkliste zur Informationssammlung» überprüft werden, welche Patienteninformationen für die Problemlösung noch eingeholt werden müssen. Beide Checklisten sind im Nachschlagewerk METAP II enthalten.
Stufe 2: Systemische ethische Kurzbesprechung
Wenn sich das Problem nicht alleine klären lässt, geht die Person zur/zum Ethikverantwortlichen im Team oder Betrieb. Mit erneuter Zuhilfenahme der Checkliste «Identifikation des ethischen Problems» wird eine ethische Kurzbesprechung abgehalten. Das Zweiergespräch dient dazu, sich abzusichern und Fehler zu entdecken sowie weitere zu vermeiden. In diesem Prozess zeigt sich auch, ob weitere ethische Fragen erkennbar werden. Möglicherweise kann dann die Problemlösung direkt erfolgen. Eventuell müssen jedoch noch weitere Hintergrundinformationen recherchiert und zusammengetragen werden. Dank dem sorgfältigen Zusammentragen von Informationen, kann die Problemstellung gegenüber Dritten klar formuliert werden. Nach der Bearbeitung und Lösung des Problems wird abschliessend überprüft, ob das Ergebnis fachlich und ethisch angemessen ist. Dafür steht, ein ebenso effizientes METAP-Instrument zur Verfügung.
Stufe 3: Ethische Fallbesprechung im Team
Bei Situationen, in denen richtig oder falsch nicht eindeutig sind, weil es beispielsweise unterschiedliche Meinungen im Team gibt, oder aus anderen Gründen, erfolgt eine strukturierte und moderierte ethische Fallbesprechung, bei der alle Involvierten teilnehmen. Eine sorgfältige Vorbereitung und ein strukturierter Ablauf sind notwendig. Beides wird im METAP II detailliert beschrieben
Stufe 4: Externe Ethikberatung (mobil und online)
Wenn in der Stufe 3 keine Problemlösung erzielt wurde, kann eine externe, beratende Sichtweise beigezogen werden, und so neue Impulse geben. Dies beispielsweise: Bei spezifischen Fragen, die durch die Beteiligten vor Ort nicht beantwortet werden konnten. Oder, wenn Teamkonflikte, Konflikte mit der betroffenen Person und/oder den Angehörigen vorhanden sind. Eine punktuelle externe Beratung macht ebenfalls Sinn, wenn sich ein Team versichern will, dass alle wichtigen Aspekte berücksichtigt wurden. Ebenso, wenn das Bedürfnis nach einer Zweitmeinung zu den beschlossenen Massnahmen vorhanden ist.
Ausblick
Viele Institutionen der ambulanten und stationären Langzeitpflege setzen sich schon heute dafür ein, dass sie trotz komplexen politischen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen ihre Sorgfaltspflicht gegenüber den Pflegebedürftigen und ihrem Personal wahren können. Diese Herausforderungen dürften aufgrund der demografischen Entwicklung, dem sich verschärfenden Personalmangel sowie weiteren Schwierigkeiten noch komplexer werden. Die Implementierung von individuellen, betrieblichen Ethikstrukturen, beispielsweise das Verfahren von METAP II-, könnte da eine wichtige Unterstützung sein.
Beatrice Widmer
Schulungszentrum Gesundheit
Programmleiterin Bildung
beatrice.widmer@zuerich.ch
www.stadt-zuerich.ch/sgz
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