Mo. 21.06.21Wie man die Nationale Demenzstrategie umsetzen kann
Bericht zum 2. Zürcher Demenzsymposium
Text: Eveline Kühni, NOVAcura
Qualitativ hochstehende und bedarfsgerechte Angebote für Menschen mit Demenz bereitstellen, ist erklärtes Ziel der Nationalen Demenzstrategie (NDS) 2014–2019. Wie sehen solche Angebote aus? Wie gelingen sie? Welche Schwierigkeiten zeigen sich? Das 2. Zürcher Demenzsymposium «Nationale Demenzstrategie: Best Practice» liefert am 10. Juni 2021 online Antworten und Inputs.
Unabhängig von ihrer sozialen und gesundheitlichen Situation sollen Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können, steht in der Altersstrategie der Stadt Zürich. Das ist für Demenzbetroffene besonders schwierig, aber auch besonders wichtig, sagt Zürcher Stadtrat und Vorsteher des Gesundheits- und Umweltdepartements Andreas Hauri in seiner Begrüssung. Menschen mit Demenz sind sehr individuell und brauchen deshalb individuelle Unterstützung. Wie muss diese Unterstützung sein, damit möglichst alle Betroffenen umfassend profitieren? Wer bietet sie an? Und wer bezahlt sie?
«Wenn es ums Geld geht, ist es alles andere als einfach», wird Flurina Näf, Sektion Nationale Gesundheitspolitik des BAG, von Moderatorin Cornelia Kazis zitiert. Vom Ziel der NDS, die Finanzierung bedarfsgerechter Leistungen zu sichern, sei man weit entfernt. Gründe dafür sind, dass es weder auf Verfassungs- noch auf Gesetzesebene Grundlagen für die Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen gibt, dass viele Akteure involviert sind und Entscheidungsprozesse entsprechend lange dauern. Trotz dieser Schwierigkeiten konnte das BAG im vergangenen März als Nachfolgerin der NDS die «Nationale Plattform Demenz» lancieren. Sie soll helfen, Demenzkranken und ihren Angehörigen eine möglichst gute Lebensqualität zu sichern und den Austausch zwischen den Akteuren zu fördern. Gerade im Bereich Koordination sei man in den vergangenen Jahren vorangekommen, versichert Näf. Die Verantwortlichen wüssten, wie notwendig die Fortschritte in der Pflege- und Betreuungsfinanzierung seien, und es würde umfassende Bedarfsermittlung betrieben.
Haltung und ethische Dilemmas
Im Rahmen der NDS wurde viel Wissen generiert, das in Berichten, Richtlinien, Broschüren etc. festgehalten und/oder veröffentlicht wurde. Ein Best Practice-Beispiel dafür stellt die Ärztliche Direktorin der Alters- und Pflegezentren der Stadt Zürich vor. Gaby Bieri entwickelte die DemCare©-Empfehlungen, auf deren Grundlage die Broschüre «Begleitung, Betreuung, Pflege und Behandlung von Personen mit Demenz» entstand. Die Empfehlungen sind an Langzeitinstitutionen gerichtet und zeigen, was zu guter Demenzbetreuung dazugehört. Zusammenarbeit mit den Angehörigen und Selbstbestimmung sind ebenso Themen wie Ernährung und Infrastruktur. Essenziell ist für Bieri die Haltung gegenüber Menschen mit Demenz. Bei den Fachpersonen habe sich da schon eine Menge getan: In Langzeitinstitutionen gelten Demenzkranke nicht mehr als Störenfriede, sondern als besondere Menschen mit besonderen Bedürfnissen, denen man möglichst gerecht werden will. Von uns allen wünscht sich Bieri zum Wohl von Demenzbetroffenen, dass wir loskommen von den engstirnigen Vorstellungen, wie jemand zu sein und wie sich jemand zu verhalten hat.
Ein weiteres Beispiel für Best Practice stellt Pflegespezialistin und AIDA-Care Beraterin Dorothea Fiechter vor. Das Zürcherische Pionierprojekt AIDA-Care (aufsuchende, individuelle Demenzabklärung und Beratung) hat das Ziel, zuhause die Gesundheit und Sicherheit von Demenzbetroffenen zu fördern, damit sie möglichst lang daheim leben können. Fiechters Einsätze sind von Hausärztinnen/-ärzten, Nachbarinnen/Nachbarn oder ambulanten Pflegerinnen/Pflegern initiiert. Sie besucht Betroffene in deren Zuhause, macht sich ein umfassendes Bild ihrer Situation, klärt auf, berät und informiert. Fiechters Tätigkeit verlangt viel Fingerspitzengefühl, da ihr Demenzkranke und Angehörige oft mit Argwohn begegnen. Auch findet sie sich nicht selten in ethischen und rechtlichen Dilemmas wieder: Gefährdet sich jemand selbst oder andere und müssen entsprechende Massnahmen in die Wege geleitet werden? Stehen die Bedürfnisse der Menschen mit Demenz oder die der Angehörigen im Vordergrund? Ist jemand nur ungepflegt oder schon verwahrlost? Fiechter ist sehr dankbar, dass sie diese schwierigen Fragen nicht mehr länger allein beantworten muss, sondern sich mit ihrer neuen Kollegin absprechen kann.
Partizipative Altersforschung und Erholung für Angehörige
Auch der Austausch zwischen Forschung und Praxis ist Ziel der NDS. Wie der umgesetzt werden kann, zeigt Florian Riese von der Universität Zürich mit seinem Beispiel für partizipative Altersforschung. Als einer der Projektverantwortlichen von ZULIDAD (The Zurich Life and Death with Advanced Dementia) initiierte er einen Runden Tisch, an dem sich Praktiker/-innen aus dem Demenzbereich, Angehörige von Erkrankten und Forschende in 28 Sitzungen über vier Jahre verteilt trafen. Dank akribischer Vorbereitung, professioneller Moderation, wissenschaftlicher Protokollierung und Evaluation entstanden aus diesen Tischgesprächen mehrere Broschüren mit dem Titel «Lebensende mit Demenz». Das Produkt behandelt Themen wie Lebensqualität, Kommunikation, Rechtliches und Finanzielles oder Gesundheit aus der Perspektive aller am Projekt beteiligten Gruppen.
Speziell um die Angehörigen geht es Claudia Günzel, Geschäftsführerin der Spitex Höfe. Sie entwickelte ein Erholungskur-Projekt für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz. Nach dem Vorbild eines Projekts in Ratzeburg plante Günzel die Möglichkeit eines Kuraufenthalts, während dem sich die Angehörigen nicht nur erholen, sondern auch Schulungen zum Thema Demenz besuchen. Obwohl absehbar war, dass die Krankenkassen die Kosten dafür nicht übernehmen würden, kam das Projekt dank unermüdlichem Einsatz der Initiantin ins Rollen. 2020 machte Corona dessen Pilotierung allerdings einen Strich durch die Rechnung. Nach langem Abwägen legte Günzel das Projekt auf Eis. Sie sucht nun Interessentinnen/Interessenten, die die Entlastung von Angehörigen als ebenso dringlich betrachten wie sie und ihre Projektarbeit weiterführen würden.
Die Dringlichkeit aller Themen rund um Demenz hebt Moderatorin Kazis denn auch bei ihrem Nachmittags-Rückblick hervor. Sämtliche vorgestellten Best Practices – und die unaufhaltsam wachsenden Zahl Betroffener – zeigten, wie wichtig es ist zu handeln. Gleichzeitig dauere es aber unerträglich lange bis die Bedürfnisse Betroffener von den Politikerinnen/Politikern anerkannt und mögliche Massnahmen adäquat finanziert würden. Diese Diskrepanz auszuhalten, stellt sie sich als grossen Kraftakt vor. Er gebühre den grössten Respekt gegenüber Betroffenen, Praktikerinnen/Praktikern und Forschenden.
Haben Sie den Anlass verpasst?
Die Aufzeichnung und die Präsentationen finden Sie auf der Website des Zürcher Demenzsymposiums.
Save the Date – 3. Zürcher Demenzsymposium
Dienstag, 14 Juni 2022