Mo. 13.12.21Das grosse Schweigen
Text: Lucia Zimmermann
Seit einigen Tagen versuche ich schon, diesen Blog zu schreiben. Immer wieder beginne ich, schreibe Gedanken auf, diskutiere diese mit Kolleginnen und Kollegen. Spannende Diskussionen entstehen. Aber wie das so ist in diesen P-Zeiten. Jedes Gespräch landet früher oder später beim omnipräsenten C-Thema. Genau darüber will ich nicht schreiben.
Und so überlege ich mir etwas Anderes, lösche grosszügig, denke angestrengt nach, durchforste meinen Themenfundus. Nichts aber auch gar nichts scheint mir geeignet, jetzt und hier darüber zu schreiben. So bleibe ich stumm und das Blatt bleibt leer. Ich bleibe stumm, weil das, was mich eigentlich beschäftigt hier nicht hin soll.
Da fällt mir ein, wie stumm es manchmal an Sitzungen ist. Jemand spricht zwar, stellt seine Dinge dar, ihre Projekte vor und stellt vielleicht sogar Fragen. Nur schwerfällig und mit pflichthöflichem Tonfall äussern sich Einzelne. Andere sitzen da mit abwesendem, betont nichtssagendem Gesichtsausdruck. Je mehr geschwiegen wird, desto mehr redet in der Regel die Person, die leitet oder präsentiert. Man könnte den Eindruck gewinnen, alle anderen hören zu. Der Eindruck täuscht. Reden lassen ist nicht dasselbe wie zuhören.
Warum wird an Team- und anderen Sitzungen so viel geschwiegen? Vielleicht geht es den Schweigenden wie mir mit diesem Blogtext. Was mich wirklich innerlich beschäftigt, habe ich mir verboten, hier anzusprechen. Weil das «verbotene» Thema aber gerade den grössten Teil meiner gedanklichen und emotionalen Ressourcen absorbiert, geht es mit schreiben nicht weiter.
Das ist beim Schweigen an Sitzungen genauso. Da verbringen gescheite Leute gemeinsam Zeit und bekommen Folien vorgelesen. Gespräche entstehen erst in der Pause. Was tun also? Menschen haben ein natürliches Bedürfnis, ihre Welt zu gestalten, Einfluss zu nehmen aufs Geschehen. Auch an einer Sitzung. Mit irgendwas sind auch die Schweigenden innerlich beschäftigt. Es gilt, ihre Energie hierher zu lenken. Ein paar Tipps:
- Jede Stimme zählt
Achten Sie darauf, dass jede Stimme im Raum nach spätestens fünf Minuten einmal erklungen ist. Ob Sie eine kurze Befindlichkeitsrunde machen (sehr empfohlen), Erwartungen formulieren lassen (auch gut), die Teilnehmenden ihre Namen singen lassen (für Risikobereite) oder … seien Sie mutig und interessiert. - Denken braucht Zeit
Wenn Sie Fragen stellen, lassen Sie den Teilnehmenden Zeit zum Denken und zum innerlichen Anlauf nehmen. Beantworten Sie Ihre Fragen nicht selber. - Direkt ansprechen
Wenn Sie den Eindruck haben, das Schweigen ist zu laut, könnten Sie einfach mal fragen: «Woran denkt ihr gerade?» Oder: «Worüber schweigt ihr?» Oder: «Schweigen alle zum gleichen Thema?» Oder: «Ich möchte gerne die Meinung von jedem im Raum.». Oder «Ich möchte wissen, was du darüber denkst.». - Ich-Botschaften helfen
Zum Beispiel so: «Ich bin gerade verunsichert, weil niemand etwas sagt und ich nicht weiss, wie ich das interpretieren soll. Wer kann mir helfen?» - 1, 2, 3, 4, 5 … 36, 37, 38 …
Bei all diesen Interventionen ist eines zentral: Halten Sie Schweigen aus. Üben Sie sich im geduldigen Warten. Schauen Sie, wie weit Sie innerlich zählen können, bis jemand etwas sagt. Sie werden sehen, es wird etwas geschehen.
Jetzt ist es doch noch ein Blog geworden. Als ich mal meine P- und C- Blockade niedergeschrieben hatte, war die Energie frei. Ja, so kann es funktionieren. Ich wünsche Ihnen gute, lebendige Sitzungen.
Trainieren Sie Ihre sozialen Muskeln genau für solche und andere Situationen in gruppendynamischen Trainings:
Lucia Zimmermann
Schulungszentrum Gesundheit
Programmleiterin Bildung
lucia.zimmermann@zuerich.ch
www.stadt-zuerich.ch/sgz
Liebe Frau Zimmermann
Ein sehr gelungener Beitrag, den ich mit Freude mehrmals gelesen habe……. und dabei immer neugieriger wurde, was da kommt.
Schöne Weihnachtstage und alles Gute
Renate Rappold
Leitung Sekretariat Frauenklinik KSM
Liebe Frau Rappold
Neugier ist eine gute Grundlage. Bleiben Sie neugierig, offen und geduldig. Dann kommt Spannendes!
Auch Ihnen alles Gute!
Lucia Zimmermann
Liebe Lucia
Könnte es denn sein, dass Schweigen gar nicht Gold ist? Manchmal werden Gedanken erst klar, wenn sie formuliert sind. Und gehört wird auch nur, wer sich bemerkbar macht. Danke für diesen Beitrag und die leise mitklingende Ermutigung zu sagen, was man denkt, auch wenn unsicher ist, ob das was man grad denkt genug klug formuliert ist für die Ohren anderer, die ja genau so unsicher sind :-). Katrin
Liebe Katrin
Zumindest ist Schweigen nicht immer Gold.
Und es macht Spass forschend im Gespräch unfertige Gedanken gemeinsam weiter zu denken.
Danke für die Anregung! Auf weitere mehr oder weniger kluge Gedankenspiele im Gespräch.
Lucia