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Grippe, Norovirus und Blasenentzündung

Infektionserkrankungen in der Langzeitpflege: Bericht zum 5. Zürcher Hygienesymposium

Text: Eveline Kühni, Hogrefe Verlag

Mit welchen Krankheitserregern haben wir es in der Langzeitpflege zu tun? Was genau sind Aerosole? Wie vermeidet man Harnwegsinfektionen und worauf ist bei Reinigung und Desinfektion zu achten? Expert*innen aus Medizin, Pflege und Reinigung gaben am 21. März 2023 im Rahmen des Zürcher Hygienesymposium Antworten darauf.

«Schön, können wir uns heute ohne Maske treffen», sagen Gabriela Bieri und Christian Strübi zur Begrüssung. Was im Gegensatz zur letztjährigen Ausgabe des Hygienesymposiums wieder möglich ist, ist in der Wirkungsstätte der beiden alles andere als selbstverständlich: Immer mal wieder müssen die über 3500 Bewohner*innen der Gesundheitszentren für das Alter der Stadt Zürich mit Masken oder anderen Hygienemassnahmen vor besonders pathogenen oder resistenten Erregern geschützt werden. Welche Keime in Langzeitinstitutionen oft vorkommen und eine Isolation benötigen, erklärt Gerhard Eich im ersten Referat des Tages. Als besonders relevant (nicht zwingend häufig, aber besonders pathogen oder resistent) für Pflegeheime erachtet der Infektiologe CPE (Carbapenemase produzierende Erreger), VRE (Vancomycin-resistente Enterokokken), Noroviren, Tuberkulose-Erreger und respiratorische Viren wie Influenza, SARS-CoV-2 oder RSV. Je nach Übertragungsweg der Keime ist neben den Standard-Hygienemassnahmen (Händewaschen bzw. -desinfizieren) eine Kontakt-, Tröpfchen- oder aerogene Isolierung nötig, die mittels Schutzmasken, Abstand, Handschuhe, Einzelzimmer etc. gewährleistet werden kann. Damit Pflegeheime adäquat auf Infektionsgefahren reagieren können, sind fundierte Kenntnisse von Übertragungswegen und Schutzmassnahmen sowie die Diagnostik von Krankheitssymptomen grundlegend.

Hygienekonzepte von Akutspitälern können nicht eins zu eins auf Langzeitinstitutionen übertragen werden. Warum nicht, erklärt Fachexpertin für Infektionsprävention Laura Jordi vom Gesundheitszentrum für das Alter Mattenhof und Ludwig Steinwender vom Stadtspital Triemli, ebenfalls Fachexperte Infektionsprävention. Während der Aufenthalt von Patient*innen im Akutspital zeitlich begrenzt ist, ist die Langzeitinstitution in der Regel das Zuhause der Bewohner*innen. Die Hygienemassnahmen von Pflegeheimen müssen diesem Umstand gerecht werden und dürfen die Lebensqualität der Bewohner*innen nicht (permanent) mindern. Grundsätzlich gilt es, unter der Berücksichtigung kognitiver Einschränkungen von Demenzkranken, die Standard-Hygienemassnahmen auf einem so hohen Level wie möglich einzuhalten – und zwar unabhängig vom Infektionsgeschehen. «Für weitere Massnahmen gibt es kein allgemeingültiges richtig oder falsch», sagt Gerhard Eich in der anschliessenden Diskussion, «sie müssen den betroffenen Personen, der epidemiologischen Situation sowie der Art und Übertragung des Keims angepasst werden.»

Seit der Corona-Pandemie sind sie in aller Munde: die Aerosole, Schwebepartikel unterschiedlicher Grösse, die aus- und eingeatmet werden und SARS-CoV-2 übertragen können. Dass Physiker*innen und Mediziner*innen den Begriff nicht identisch verwende(te)n, sorgt(e) immer wieder für Verwirrung. Philipp Jent, Leiter der Spitalhygiene in der Universitätsklinik für Infektiologie am Berner Inselspital, versucht in seinem Referat Klarheit über die Definition von Aerosolen und die daraus folgenden Massnahmen zur Infektionsprävention zu schaffen. Fazit seines Vortrags: Das traditionelle dichotome Modell der Übertragungswege von respiratorischen Viren (Tröpfchen = grosse Partikel, nicht lange in der Luft, schneller unschädlich → Prävention: chirurgische Maske und Abstand halten, vs. Aerosole = kleine Partikel, schweben in der Luft, längere Suspensionszeit → FFP2-Masken, Isolation, Lüften) ist physikalisch falsch. Vielmehr ist der Übergang von Tröpfchen (im trad. Sinn) zu Aerosolen (im trad. Sinn) fliessend, deshalb wird in modernen Transmissionsmodellen der Begriff Aerosole für grössere und kleinere Schwebe-Partikel mit unterschiedlicher Lebensdauer (Tröpfchen nur für ballistische Partikel) verwendet. Wenn respiratorische Viren wie SARS-CoV-2 durch Aerosole übertragen werden, sind entsprechende Massnahmen (Filtration, Ventilation) sinnvoll, sollten aber nicht überschätzt und müssen mit weiteren Massnahmen direkt an der Infektionsquelle (Masken) ergänzt werden.

Bei Blasenfunktionsstörungen lässt sich ein Katheter nicht immer verhindern, und wer einen hat, leidet in der Regel ein bis zwei Mal im Jahr unter einem Harnwegsinfekt, wissen Thomas Kessler und Lorenz Leitner, Chef- bzw. Oberarzt der Neuro-Urologie an der Balgrist Universitätsklinik. Die Infekte haben einen starken Einfluss auf die Lebensqualität der Patient*innen und erfordern in der Regel (im Gegensatz zur asymptomatischen Bakteriurie) die Gabe von Antibiotika. Das wiederum hat Antibiotika-Resistenzen zur Folge und greift das Mikrobiom der Blase an. Verheissungsvoll sind in diesem Zusammenhang Bakteriophagen genannte Viren. Sie können die Bakterien, die für einen (Harnwegs)Infekt verantwortlichen sind, unschädlich machen und das natürliche Gleichgewicht der Bakterien wiederherstellen. Forschungsgruppen der Universität Zürich, der ETH Zürich, dem Unispital Zürich und der Uniklinik Balgrist haben sich zu einem Forschungsprojekt zusammengeschlossen, um die Bakteriophagen mit Elementen auszustatten, die gezielt die Immunabwehr unterstützen und bakterielle Infekte behandeln können.

Eine (vieldiskutierte) Präventionsmassnahme gegen Harnwegsinfekte ist die Harnblasenspülung mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung. Im Gesundheitszentrum Gehrenholz werden sie laut Edith Holik nach ärztlicher Verordnung bei 10 von 28 Dauerkatheter-Träger*innen durchgeführt. Weil immer wieder Fragen zum Prozedere auftauchten, hat die Pflegeexpertin in Zusammenarbeit mit dem Arzt, den Hygienespezialist*innen und Pfleger*innen und im fachlichen Austausch mit dem Stadtspital Zürich und der Balgristklinik eine Anleitung dafür geschrieben, die sie im Rahmen ihres Referats vorstellt. In der anschliessenden Diskussion rund um das Thema Harnwegsinfekte weisen Thomas Kessler und Lorenz Leitner darauf hin, dass nach wie vor zu viele Antibiotika verschrieben werden. «Stellt man bei einer Person mit Blasenkatheter Bakterien fest, folgt reflexartig die Diagnose Harnwegsinfekt. In der Blase gibt es aber immer Bakterien, das Gleichgewicht davon ist entscheidend.»

Letztes Referat des Tages halten Karl Enzler und David Chaperon von der Enzler Gruppe, ein Familienunternehmen, das Reinigungs- und Hygienedienstleistungen anbietet. Die Referenten erklären, wo im Wasser und in der Luft ein besonders hohes Risiko für Verkeimung besteht. Beim Wasser betrifft das insbesondere stehendes und warmes Wasser (z. B. Boiler → richtiges Heizen), bei der Luft ist es die warme und feuchte (z. B. Küchenabluft → Klappe gegen Rückströmung). Entscheidend bei Oberflächen- und Bodenreinigung ist es, die richtigen Textilien (Ein- oder Mehrweg) zu verwenden und Desinfektionsmittel korrekt zu dosieren. Neben der nach ausgeklügeltem Farbsystem organisierten Aufbereitung, Verteilung und Rückführung von Reinigungstextilien stellen Enzler und Chaperon etwa die Raumdesinfektion mittels Wasserstoffperoxid H2O2 und die neuesten Tools für Reinigungskontrollen und Hygienemonitoring vor.

Infektionserkrankungen lassen sich in Institution der Langzeitpflege nicht vermeiden. Wohl aber kann man vorbeugen und das Risiko minimieren. Gut durchdachte und wissenschaftlich fundierte, an die Langzeitpflege adaptierte, pragmatische und konsequent eingehaltene Hygienemassnahmen helfen, Bewohner*innen gleichermassen wie Mitarbeiter*innen vor Erkrankungen zu schützen.

Save the Date: 6. Zürcher Hygienesymposium

Dienstag, 19. März 2024, 9–16.45 Uhr
Ort: startup space, Wiesenstrasse 10A, 8952 Schlieren
Website: stadt-zuerich.ch/sgz-hygienesymposium

Kommentare: 0 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Pflege & Betreuung

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