Di. 08.11.16Ethik-Cafés für Lernende: Eine «Weiterbildung» mit vielen Effekten
Text: Dr. phil. Marcel Maier und Monika Püschel
Ethik-Cafés und deren Wirkung
Ethik-Cafés sind zunächst eine probate Weiterbildungsmassnahme im Gesundheits- und Sozialwesen, bei der moralische Fragestellungen diskutiert werden. Sie laden alle interessierten Mitarbeitenden – Pflegende und Nicht-Pflegende – dazu ein, sich in ungezwungener Atmosphäre zu moralischen Fragen auszutauschen und sich Rat zu holen. Es sollen Orientierungshilfen und praktische Hinweise geliefert werden, wie den moralisch gefärbten Konflikten im Arbeitsalltag begegnet werden kann.
Die Teilnehmenden werden unter Anleitung eines Moderators zum eigenständigen Denken angeregt und dazu motiviert, schwierige Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und vorherrschende Ansichten und Lehrmeinungen kritisch zu hinterfragen. Während dieses diskursiven Prozesses werden unter anderem Sensibilität, Argumentationsvermögen, Konsens- und Kompromissbereitschaft gefördert sowie die Kommunikationskultur insgesamt in Richtung Transparenz und Sachlichkeit verbessert.
Sie sind jedoch weit mehr, als eine «reine» Weiterbildungsveranstaltung. Es wird ein nicht unerheblicher, positiver Einfluss auf die gesamte Unternehmenskultur vermutet, da aufgrund der Interdisziplinarität die Diskussionen aus verschiedenen, berufsspezifisch geprägten Blickwinkeln geführt werden. Das Personal entwickelt dadurch ein verstärktes, gegenseitiges Verständnis. Zudem konnte empirisch nachgewiesen werden, dass Ethik-Cafés wesentlich zur emotionalen Entlastung der Teilnehmenden beitragen. Es wurden positive Effekte auf die Stressbelastung und das allgemeine Wohlbefinden festgestellt (siehe Blogbeitrag «Ethik-Cafés in der Langzeitpflege: Halten sie auch, was sie versprechen?» vom Februar 2016).
Sind Ethik-Cafés auch für Lernende geeignet?
Eben diese emotionale Entlastung kann einen wichtigen Beitrag zur Salutogenese des Personals leisten … doch funktioniert dies auch (oder erst recht) bei Lernenden?
Gerade Lernende geraten in herausfordernden Arbeitssituationen häufig unter emotionalen Druck. Begründet werden kann dies mit dem jungen Alter, der fehlenden Lebenserfahrung, oder der noch nicht voll entfalteten Kompetenzen, um in schwierigen Arbeitssituationen jeweils adäquat agieren zu können. Unsicherheit, Selbstzweifel, Schuldgefühle oder auch Gewissensbisse belasten das Gemüt. Ergänzend zu anderen Massnahmen entschloss sich die Leitung im Pflegezentrum Mattenhof/Irchelpark, Ethik-Cafés explizit für Lernende und Berufsbildner/-innen anzubieten. Damit einhergehend sollte untersucht werden, ob die Ethik-Cafés bei Lernenden ähnlich positive Wirkungen zeigen, wie sie in einer vorangegangenen Untersuchung bei ausgelerntem Personal festgestellt wurden. Diese Art, Ethik-Cafés zu organisieren, ist völlig neu und wurde in dieser Form noch in keinem anderen Betrieb in der Schweiz durchgeführt.
Die Vorgehensweise
Bisher wurden drei Ethik-Cafés durchgeführt, an denen 32 Lernende und 8 Berufsbildner/-innen teilgenommen haben. Das Thema lautete stets: «Umgang mit belastenden Situationen». Die Teilnahme erfolgte stets auf freiwilliger Basis und war für alle Lehrjahre und Lehrberufe offen.
Nach etwa zwei Wochen erhielten die Teilnehmenden einen vorher angekündigten Evaluationsbogen zugeschickt. Mit dieser Selbstbeurteilung wurde unter anderem erhoben, ob die grundlegenden Eigenschaften einer ethischen Weiterbildungsmassnahme im Allgemeinen und die theoriegeleiteten Eigenschaften der Ethik-Cafés im Speziellen erfüllt wurden («Fragebogen zu den Eigenschaften der Ethik-Cafés», siehe Maier 2014). Insgesamt sollten 16 Aussagen dahingehend bewertet werden, wie stark sie für die Teilnehmenden zutreffend sind. Hierbei wurde eine 5-stufige Likert-Skala, von 1 («Nein, gar nicht») bis 5 («Ja, genau») vorgegeben.
Vorläufige Ergebnisse
Der Aussage, dass die Teilnahme am Ethik-Café zur Stressreduktion beitrage, stimmten 15.6 % mit «ja, genau» zu. 43.8 % beantworteten dieses Item mit «eher ja» (M= 4.06 / max=5).
Ähnlich hohe Zustimmung erreichte die Aussage, dass die Teilnahme zu einer Steigerung des Wohlbefindens führen würde (M=3.64 / max =5). Diese Aussage beantworteten 25.0 % mit «ja, genau» und 59.4 % mit «eher ja».
Auch weitere Eigenschaften der Ethik-Cafés wurden mit hoher Zustimmung bestätigt. So zum Beispiel die Steigerung der Argumentationsfähigkeit (M=4.06 / max=5) oder die bessere Befähigung zur Konfliktbewältigung (M=4.06 / max=5).
Grosse Zustimmung erhielt auch die These, dass die Intervention die eigene, ethische Sensibilität positiv beeinflusse: Die Teilnehmenden sind der Meinung, dass ihnen moralisch bedingte Problemstellungen und Konfliktsituationen nun eher auffallen und diese bewusster auch als solche interpretiert werden (M=3.88).
Fazit
Fort- und Weiterbildungsangebote zu ethischen Themen – vor allem im Kontext der Gesundheitsförderung – werden allgemein noch unterschätzt und spielen zumeist eine untergeordnete Rolle in Gesundheitsinstitutionen. Mit dieser Variante der Ethik-Cafés wird den Lernenden ein geschützter Rahmen geboten, um sich unter professioneller Anleitung zu belastenden Fragestellungen des Berufsalltags auszutauschen. Die Frage, ob Ethik-Cafés also auch bei Lernenden funktionieren, kann zweifelsfrei mit «ja» beantwortet werden. Die Rückmeldungen waren durchwegs positiv, weshalb dieses Angebot im Pflegezentrum Mattenhof, Irchelpark fortgeführt wird. Ebenso wurden «Ethik-Cafés für Lernende» in das Kursprogramm des SGZ aufgenommen, um auch Lernenden von anderen Institutionen teilhaben zu lassen. Nähre Informationen finden Sie unter angebot.wissen-pflege-bildung.ch. Die hier aufgezeigten Ergebnisse bilden lediglich einen Teil der Gesamtuntersuchung ab. Weitere Resultate werden in Kürze veröffentlicht.
Dr. phil. Marcel Maier, Leiter SGZ und Monika Püschel, Leiterin Aus-, Fort- und Weiterbildung, Pflegezentren Mattenhof, Irchelpark
Kontakt:
Dr. phil. Marcel Maier
Leiter Schulungszentrum Gesundheit SGZ
marcel.maier@zuerich.ch
angebot.wissen-pflege-bildung.ch