Content

Christian Streit über den Pflegekräftemangel in der Schweiz

Dringend: Qualifiziertes Pflegepersonal gesucht

Text: Christian Streit

Die Nachfrage nach Leistungen von Pflegeheimen, Spitex und Spital steigt ungebremst. Dadurch hat der Pflegepersonalbestand allein in den Jahren 2010-2014 um 14 Prozent zugenommen. Auch der Ausbildungsstand stieg an: Das Assistenzpersonal bleibt gleich, Sekundar- und Tertiärausbildungen nehmen deutlich zu. Nach aktuellen Schätzungen des Obsan müssen bis ins Jahr 2030 rund 30’000 Pflegepersonen der Tertiärstufe und 20’000 Pflegepersonen der Sekundarstufe II (EFZ und EBA) angestellt werden. Hinzu kommen 44’000 wegen Pensionierung zu ersetzende Pflegepersonen.

Grosse Sorgen, besonders bei Pflegeheimen

Schon im Jahr 2013 hat die Uni Basel in einer repräsentativen Studie (SHURP) festgestellt, dass in der Deutschschweiz mehr als 95 Prozent der Alters- und Pflegeheime grosse Probleme haben, genügend ausgebildetes Pflegepersonal zu finden. Trotz Anstrengungen der Betriebe lässt sich der Mangel in der Schweiz nicht so einfach beheben. Dies beweist auch eine Berechnung des Spitalverbandes H+, welche das Potenzial an zusätzlichen Arbeitskräften aus Personen im Erwerbsalter ermittelte (SÄZ 49/2014): Der im Inland verfügbare Zugewinn liegt bei maximal 3’000 Stellen. Dieses nur einmalig abrufbare Potenzial genügt nicht einmal, um nur einen Drittel der jährlich allein von den Spitälern zusätzlich benötigenden Pflegefachpersonen zu decken!

Besonders gravierend ist die Lage für Pflegeheime, welche (zu Unrecht!) den Ruf haben, weniger interessante Tätigkeitsprofile anbieten zu können als etwa Spitäler und Spitex. Bereits dürfen erste Betriebe nicht mehr sämtliche Betten belegen, weil sie nicht über genügend Pflegefachpersonal verfügen.

 

Was ist zu tun?

In erster Linie braucht es eine Reduktion oder Flexibilisierung der Stellenvorgaben durch die Kantone. Es kann nicht sein, dass unabhängig von der Ausrichtung und Bewohnerstruktur für jedes Pflegeheim der gleiche Minimalstellenplan gilt. Viele Betriebe könnten genau so gute Qualität leisten, ohne die vorgeschriebene Anzahl an ausgebildeten Fachkräften einhalten zu müssen. Sie sollten ihre Eigenverantwortung wahrnehmen können und das Personal gemäss dessen Fähigkeiten einsetzen dürfen. Ein optimaler Personalmix motiviert und ist gemeinsam mit persönlicher Sozialkompetenz für die Kunden viel entscheidender als das Papier, welches eine absolvierte Ausbildung bestätigt.

Weil kaum Potenzial an Erwerbslosen und Personen aus anderen Berufen besteht, muss der Mangel durch eigene Ausbildungen gedeckt werden. Dies ist aber nicht ganz einfach, weil auch in anderen Berufen ein Mangel herrscht: Schweizweit konnten allein im Jahr 2016 rund 10‘000 Lehrstellen nicht besetzt werden. Deshalb ist gleichzeitig zwingend in das bestehende Personal zu investieren, damit nicht mehr 46 Prozent der diplomierten Pflegefachkräfte aus dem Beruf aussteigen – oder wenigstens bald wieder einsteigen.

Zumindest verschärft nicht auch noch eine Begrenzung der Zuwanderung den akuten Mangel. Bereits heute hat ein Drittel des Pflegepersonals die Ausbildung im Ausland abgeschlossen und ein Funktionieren des Gesundheitswesens ohne diese Fachkräfte wäre schlichtweg unmöglich. Aus meiner persönlichen Sicht sollte konkret darüber nachgedacht werden, Personen aus Ländern – mit hohen (Jugend-)Arbeitslosenquoten – gezielt für die Pflegetätigkeit in der Schweiz zu begeistern und ausbilden.

 

Kantonale Ausbildungspflichten

Staatliche Eingriffe sind auf das Nötigste zu beschränken. Leider besteht beim Pflegepersonal derzeit eine Notsituation, welche zeitlich beschränkte Massnahmen rechtfertigt. Deshalb sind die Kantone gefordert, sinnvolle Ausbildungspflichten – verbunden mit einer Entschädigung für die entstehenden Kosten – zu schaffen. Als Vorreiterkanton hat Bern bereits einige Jahre an Erfahrung gesammelt. Diese ist äusserst positiv: Die geforderten Ausbildungsleistungen wurden nahezu erreicht. Im Kanton Solothurn werden die Bildungskosten einfach per Zuschlag auf den Aufenthaltskosten aller Bewohnenden finanziert, aktuell mit 2 Franken pro Tag. Zudem haben auch Luzern und Aargau (etwas weniger gute) verbindliche Ausbildungsverpflichtungen eingeführt, Zürich steht kurz davor. Folgende Grundsätze machen das System erfolgreich:

  1. Die Betriebe entscheiden selbst über die angebotenen Ausbildungen: Nur wenn jeder Leistungserbringer zwischen den verschiedenen Lehrgängen wählen darf, kann er auch die geeignetsten Ausbildungen anbieten. Wenn ein Betrieb nicht zur Ausbildung von HF oder FH taugt, soll er auch nicht dazu verpflichtet sein.
  2. Das Mass der geforderten Ausbildungen ist vernünftig: Die Leistungserbringer in der Pflege sind nicht primär eine Ausbildungswerkstätte; mit übermässigen Ausbildungsvorschriften droht eine Einbusse der Qualität von Pflege und Betreuung bei den Patienten.
  3. Die Pflichtverfehlung hat «nur» finanzielle Konsequenzen: Die Ausbildung von Pflegepersonal darf nicht Voraussetzung der Betriebsbewilligung sein (weil sie für die Erbringung KVG-pflichtiger Leistungen nicht zwingend ist), sondern soll bei Nichterreichen zu finanziellen Strafen führen (zur Finanzierung der ungedeckten Kosten bei ausbildenden Betrieben).
  4. Die Ausbildungspflicht wird nur so lange wie nötig beibehalten: Sobald der Bedarf an Pflegepersonal gedeckt ist, muss auch die Ausbildungspflicht für die Betriebe wieder aufgehoben werden – sonst verursacht sie unnötigen Aufwand.
  5. Der verordnende Kanton finanziert die Ausbildungen mit: Die oben genannten Mindestbeträge sind den ausbildenden Betrieben zu entschädigen. Damit sie vollständig gedeckt sind, ist statt der Einrechnung in die Gesamtkosten eine separate Entschädigung zu bevorzugen.

 

Es muss alles Denkbare unternommen werden, um den Mangel an gut ausgebildeten Pflegepersonen zu beheben. Sonst drohen Versorgungsengpässe, Qualitätsverlust und Überlastung des bestehenden Personals. Gefordert ist jeder Betrieb, aber nicht zuletzt auch die Ausbildungsstätten sowie Bund und Kantone. Packen wir’s an!

Christian Streit,
Geschäftsführer Alters-/Pflegeheimverband senesuisse

Kommentare: 11 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Ausbildner/-innen

Kommentare zum Artikel

  1. Arni Kommentar vom 12.01.2017

    Vor 10 Jahren, mit 47 hätte ich gerne die Ausbildung zur Pflegefachfrau HF gemacht. Ich hatte sowohl einen Ausbildungsplatz, als auch die Zusage der Schule. Die finanziellen Einbussen über Jahre hinweg waren aber viel zu hoch und in dem Alter nicht mehr tragbar. Somit habe ich auf diese Ausbildung verzichten müssen. Schade, denn ich wäre dann sicher noch 15 Jahre in diesem Beruf tätig gewesen.

  2. Dani Kommentar vom 12.01.2017

    Man sollte die HF Ausbildung so gestaltten das es keine Lohn einbusen hat
    Als Familienvater mit 2 kinder ist schlicht unmöglich diese Ausbildung zu absolvieren

  3. Mathi Kommentar vom 12.01.2017

    Als Ausländerin habe die Ausbildung FaBe hier abgeschlossen, trotzt Ausbildung konnte nicht im die pflegeheim als Fach eingestellt zu sein, weil mir fehlte immer noch 10 oder 20 Stunden Medizinalische Weiter Bildung , Zürichheim haben keine interesse gehabt mir weiter zu bilden , Sie haben einfach meine Befristete Vertrag nicht renoviert, weil jetzt als Fachfrau wollte noch etwas Lohn und nicht den Lohn vom einer Pfegehelferin die ein einfache kurz im Rotekreuz gemacht hat. Dazu sie hatten gerade Junge Mädchen aus Osten importiert mit eine niedrige Lohn und dazu die möglichkeit die sprachkurs Deitsch zu machen .Natürlich die sind viel güngstiger als jemand die hier lebt und im Ausbildung hier investiert hat . Naja Geld spären und weiter reklutieren aus armere Länder ! Tolle Schweiz

  4. Astrid Kommentar vom 12.01.2017

    Im 1996 konnte ich mit 33 Jahren noch eine Ausbildung zur Dipl. Pflegefachfrau DN2 machen. Der Kanton hat sich an der Finanzierung beteiligt, so dass ich mit dem Einkommen leben konnte. Ausserdem war das Pensum reduziert und daher die Ausbildung um 1 Jahr länger. So konnte ich Familie und Ausbildung vereinbaren. Leider waren wir die zweitletzte Klasse, die von diesem System unterstützt wurde. Viele von den damals zwischen 29- und 50-jährigen sind heute noch im Beruf tätig.
    Ich fand es schade, dass man damals diese Möglichkeit, im Erwachsenenalter noch die Pflegeausbildung zu absolvieren, abgeschafft hat. Somit bestätigt sich das, was Arni und Dani schreiben!

  5. Sandra Kommentar vom 12.01.2017

    Ich habe vor zwanzig Jahren die Ausbildung Krankenschwester mit Diplom DN I einst absolviert. Nun fehlt mir den HF Titel. Ich wohne im Kanton Zürich und wäre bereit diesen HF-Abschluss nachzuholen.Doch die Anforderungen zum HF Titel sind für mich nicht lukrativ. Ich habe mich am Careum Infotag in Zürich informiert, wie auch am ZAK in Winterthur. Beide Ausbildungen zum HF kommen für mich leider nicht in Frage- beim Careum zu einem aus finanziellen Gründen (Lehrlingslohn) und dem anderen, weil es mir z.Z. leider nicht möglich ist,einen 100% Praktikumseinsatz zu leisten. In Winterthur sind 30 Module für das HF Diplom zu absolvieren. Je nach Arbeitsprozente (mind.60%) dauert die Ausbildung ca. zwei bis vier Jahre! Was ich zudem bedauere ist, dass ich mich nicht in einem Spezialgebiet wie Psychiatrie(auf dem ich tätig bin) vertiefen kann. Im Careum wird kein einziges Modul mit Schwerpunkt Psychiatrie angeboten! Nach zwanzig Jahren Arbeitspraxis habe ich mir ein grosses Fachwissen angeeignet, wie auch Lebenserfahrungen. Müsste ich morgen eine neue Arbeitsstelle suchen, so wäre die einzige Möglichkeit mit DN I Abschluss, eine Stelle im Bereich Pflegeheim anzunehmen- da, wo mein Wissen nicht gross ist. Wie paradox.

  6. Barbara Hanser Kommentar vom 12.01.2017

    Als ausgebildete Pflegefachfrau und Mutter dreier Kinder würde ich gerne teilzeit arbeiten 40% z.B.
    Meiner Erfahrung nach ist das in den meisten Betrieben nicht gefragt wegen doofen Bezugspersonensystemen und weil scheint’s die Kontinuität und Qualität darunter leiden soll.

  7. Claudia Kommentar vom 12.01.2017

    Ich bin seit 19985 in der Führung tätig und ein Mangel an Fachpersonal besteht seit Jahren. Unsere Berufsgruppe hat es leider bis heute nicht geschafft, in den eigenen Reihen und schon gar nicht der Gesellschaft zu vermitteln, dass wir eine sehr anspruchsvolle, komplexe Aufgabe wahrnehmen. Wie auch, solange es die Vorstellung gibt, Diplomierte sollten reduziert und mit unausgebildetem Hilfspersonal ersetzt werden (können). Diese Aussage trägt genau wieder dazu bei, dass das Bild entsteht, dass jede und jeder gut genug (Fach, Sprache, usw.), ist in der Pflege sicher aber in der Langzeitpflege zu arbeiten. Lernen wir stolz zu sein auf uns und unseren Beruf und geben wir das so weiter. Tue Gutes und sprich darüber!! Gejammer über unregelmässige Arbeitszeiten, hohen Arbeitsaufwand, schlechten Lohn usw. wirkt sicher selten motivierend diesen Beruf zu erlernen. Und es ist ja nicht so, dass es nebst den nicht zu unterschätzenden schwierigen Situationen auch positiven Eigenschaften zu berichten gäbe: sicherer Arbeitsplatz, sinngebende Arbeit, Freiraum in der Gestaltung, herausfordernde und interessante Situationen und Gespräche….

    • anita temperli Kommentar vom 04.07.2018

      Trotz Fachkräftemangel finde ich auch nach dem Kurs Wiedereinstieg in die Pflege, keine Stelle. Trotz grossem Fachwissen, Lebenserfahrung, Motivation, guten Zeugnissen usw finde ich leider keine Anstellung. Bin 59 Jahre alt…zu alt? Meiner Meinung nicht! Zu teuer?
      Schade, wenn es nur am Geld liegt.

  8. mareis Kommentar vom 13.01.2017

    Die Pflegezentren der Stadt Zürich bieten 5 verschiedene Wege an um die Ausbildung Pflege HF zu absolvieren: stadt-zuerich.ch/pflegezentren -> Jobs & Bildung -> Berufseinsteigende -> Höhere Berufsbildung

  9. Gabriela Kommentar vom 14.01.2017

    Meine Ausbildung als FASRK liegt schon über 3 Jahrzehnte zurück.Trotz vieler Einbussen arbeite ich weiter in dieser Berufssparte. Spannend ist, dass das Gesundheitswesen trotz vielen Veränderungen in Kompetenz und Verbesserung der Entlohnung konstant über Mangel an Fachpersonal klagt.
    Weiterbildung versuchte ich erfolglos anzustreben. Oft vertröstete mich die Betriebe in denen ich tätig war, zogen mich allerdings gut und gerne zur Mehraufgaben hinzu. Argument: Ich sei Familienfrau und somit nicht genügend belastbar nebenbei einer Ausbildung gerecht zu werden.
    Bin kein Einzelfall.
    Heute arbeite ich als Berufsbildnerin FAGE und bin mit meinem aktuellen Arbeitsgeber sehr zufrieden.
    Den Anreiz ein HF Diplom anzustreben ist der Erkenntnis der niedrigen Entlöhnung danach (Stufe 0) gewichen.

  10. Khalid Kommentar vom 14.01.2017

    “Im praktischen Leben können theoretische Überlegungen scheitern, denn das Leben hält sich nicht immer an die Begriffe, mit denen es zu fassen versucht wird”, so Wilhelm Schmid. Da ich nicht als Quereinsteiger (unerwünschter Begriff) auf eine HF Ausbildung in Careum vorbereitet war, wurde alles: die pädagogische Methode (PBL), das Durchschnittsalter der Teilnehmenden, die vielen theoretischen Aufgaben, die zahlreichen Modelle, zum Experiment. Mit Freude und voller Motivation bin ich mit diesen Herausforderungen gestartet und mit weinenden Augen habe ich diese abbrechen müssen. Ich habe mich immer gefragt, ob ich so viele theoretische Begriffe in meiner zukünftigen Karriere in der Langzeitpflege benötige, wenn ich ältere Menschen betreue, die im Stand-by Modus sind oder die nur einen Seelsorger zur Betreuung wünschen. In dem Sinne wird manchmal das Scheitern von Studenten, VA die Senioren, in einem HF Studium ein klares Signal für die Politikern, Management und Verbände im Gesundheitswesen, um neue und innovative Ideen im Bildungssystem bringen zu müssen. Jammern ohne konkrete Veränderungsvorschläge ist für mich wie Musik ohne Klang …

Kommentar schreiben