Mo. 18.12.17Sprechen Sie BWL? Nein, dann ist es Zeit dafür!
Text: Heinz A. Stieger
Wenn wir die Medienmitteilungen bezüglich Gesundheitswesen verfolgen, dann entsteht bei vielen Betroffenen schnell der Eindruck, dass der humanitäre Auftrag des Gesundheitswesens von Finanzhaien diktiert wird. Themen wie Rentabilisierung und Kommerzialisierung werden vor dem Hintergrund der steigenden Kosten in aller Breite und Tiefe diskutiert. Zudem lösen Privatisierungsinitiativen bei Direktbetroffenen und auch Teilen der Bevölkerung grosse Verunsicherung aus.
In diesen Diskussionen stossen anscheinend unvereinbare Wertvorstellungen aufeinander? Es scheint, als würden zwei total unterschiedlichen Parallel-Welten aufeinanderprallen.
Die eine Welt: Menschen, Schicksale, Krankheiten – und der klare Grundauftrag der Pflege, der immer zum Wohl der Menschen ausgerichtet ist! Und dann die andere Welt: Nackte Zahlen, klare Fakten, Ausgaben, Einnahmen und immer rote Zahlen. Die Sichtweise der Betriebswirtschaft scheint dabei störend, unbarmherzig und kalt.
Wir bewegen uns jedoch keinesfalls in zwei unterschiedlichen Welten. Nein – wir betrachten die gleiche Welt, jedoch aus anderen Blickwickeln! Vergleichbar mit einer Münze, die zwei verschiedene Seiten hat.
Die eine Sichtweise beleuchtet die Wirkung, die wir mit unseren Leistungen bei den pflegebedürftigen Menschen erzielen. Die andere, betriebswirtschaftliche Perspektive rückt die Effektivität und Effizienz der Leistungen in den Vordergrund.
Pflegeheime sind komplexe soziale Gebilde
Alle, die in einem Pflegeheim arbeiten, wissen aus eigener Erfahrung, dass die Organisation eines Pflegeheimes komplex und vielschichtig ist.
Aus der Perspektive der Betriebswirtschaft werden folgende Fragen gestellt:
- Welche Ziele hat die Organisation?
- Was will die Organisation bei Patientinnen/Patienten und Bewohnerinnen/Bewohnern erreichen?
- Wie ist die Unternehmung organisiert?
- Wie wickeln die Mitarbeitenden die täglichen Arbeiten ab?
- Welche Ressourcen werden beansprucht und tatsächlich benötigt?
- Wie geht die Organisation mit dem Zielkonflikt «Maximale Zufriedenheit bei den Bewohnern und minimale Betriebskosten» um?
Diese Fragen sind alle nicht wirklich neu! Schon seit langem beschäftigen sich Verantwortliche damit. Die Betriebswirtschaft nutzt dabei eine spannende Systematik und arbeitet mit verschiedenen Modellen, die in Industrie und Dienstleistungsunternehmen zur Anwendung gebracht werden. Diese Modelle bedienen sich einer eigenen Fachsprache.
Heute wird das Pflegepersonal aller Führungsstufen immer mehr mit dieser Fachsprache konfrontiert. Dabei werden Begriffe wie Performance Management, Kostenmanagement, DRG, Prozessmanagement und Kapazitätsplanung, Change-Management, Agile Führung, Agiles Projektmanagement, Kostendeckungsgrad in Diskussionen eingeworfen, um nur einige von sehr vielen Bezeichnungen zu erwähnen. Für viele simpel und einfach nur fachchinesisch!
BWL Terminologie bricht in den Gesundheitsbereich ein!
Der Kostendruck führt dazu, dass die Betriebswirtschaft unaufhaltsam in den Bereich der Medizin und Pflege einbricht! Diese «Einbrecher» sprechen jedoch eine andere Sprache! Sie betrachten die Organisation eines Pflegeheims aus einem anderen Blickwinkel. Zielsetzungen werden aus strategischer Sicht beleuchtet. Es werden Stakeholdergruppen definiert, Marktabgrenzungen vorgenommen, Produkte beschrieben, Kommunikationskanäle definiert, Prozesse und Prozesskostensätze definiert, Workflows optimiert und «Lean Management» Ansätze eingeführt.
Digitalisierung beschleunigt die Veränderung der Verständigungsbasis!
Ausserdem machen neue Entwicklungen der Technologie keinen Halt vor Pflegeheimen. Die Fortschritte in der Informationstechnologie führen zur Digitalisierung von vielen Prozessen und Teilprozessen. Kostenrechnungssysteme werden modernisiert und mit den Änderungen in medizinischen Abrechnungsstandards in Einklang gebracht. Bilanzen, Erfolgsrechnungen, Geldflussrechnungen und damit verbunden Cashflow und Kennzahlen werden für Benchmarks benötigt, die wiederum für die Finanzierung des Gesundheitswesens und vor allem auch für Pflegeheime von zentraler Bedeutung sind.
Lernen die «Einbrecher» die Sprache der Medizin oder werden sich die Pflegefachleute die Sprache der BWL aneignen? Die Antwort liegt auf der Hand. Beide Seiten sollen, ja müssen sich aufeinander zu bewegen.
Wir brauchen Zweisprachigkeit
Dieser Umstand zwingt Mitarbeitende aller Führungsstufen, sich mit dieser BWL Sprache auseinander zu setzen. Es geht dabei nicht darum, dass Stationsleiterinnen und -leiter beispielsweise «Monte Carlo Simulationen» auf ihren EXCEL ausführen können, um künftige Kapazitätsplanung zu erstellen. Nein –es geht dabei um das Verstehen der verschiedenen Instrumente, die in der Betriebswirtschaft zur Anwendung kommen.
Insbesondere Führungsmitarbeitende im Pflegebereich verschaffen sich damit eine ganzheitliche Sichtweise auf «ihren Betrieb». Wir brauchen ein verbundenes und vernetztes Denken. Diese ganzheitliche Sicht umfasst auch die betriebswirtschaftliche Perspektive! Gerade diese Sichtweise vereinfacht es den Führungskräften, ihre Unternehmenssituation im Pflegeheim besser zu analysieren und mit Experten aus Qualitätsmanagement, IT, Finanzen und Organisationsentwicklung sowie auch mit der Geschäftsleitung besser zu kommunizieren.
Es geht somit darum, einen Interdisziplinären Ansatz zu finden, der unsere Führungskräfte befähigen, nebst operativen Funktionen in ihren angestammten Fachbereich aktiv in der Gestaltung betriebswirtschaftlicher Themen mitzuarbeiten. Eine BWL Sprachschulung ist somit eine Investition in die persönliche Entwicklung von Führungskräften und zugleich in die zukünftige Leistungsfähigkeit der Pflegeheimorganisationen.
Heinz A. Stieger
MBA Strathclyde University
Fachhochschuldozent und Consultant
heinz.stieger@hrb-solutions.ch
Der Autor unterstützte Organisationen im Gesundheitswesen im Aufbau von strategischen Führungssystemen, bildet Führungskräfte aus und doziert am SGZ betriebswirtschaftliche Kurse. Im Grundlagenkurs werden Ihnen betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse praxisnah erklärt. Dafür brauchen Sie keine Vorkenntnisse. Einen Schritt weiter gehen Sie, wenn Sie den Aufbaukurs besuchen. Hier erfahren Sie vertiefte betriebswirtschaftliche Zusammenhänge. Und das Wichtigste: Das Gelernte ist im Alltag umsetzbar! Link: «Betriebswirtschaft auf den Punkt gebracht»
Kontakt:
Dr. phil. Marcel Maier
Leiter Schulungszentrum Gesundheit SGZ
marcel.maier@zuerich.ch
angebot.wissen-pflege-bildung.ch