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Palliative Care und Organisationsentwicklung

oder… Ist Palliative Care auch Organisationsentwicklung?

Text: Marcel Maier

Palliative Care und Organisationsentwicklung. Wie passt das zusammen?

Die Organisationsentwicklung ist zunächst ein organisationstheoretisches Konzept. Es handelt sich um einen geplanten Prozess, mit dem ein sozialer und struktureller Wandel in Organisationen umgesetzt werden soll. Sie wird sehr allgemein definiert als «Interventionsstrategie, welche gruppendynamische Prozesse verwendet, die sich auf die Organisationskultur konzentriert, um geplante Veränderungen herbeizuführen» (Wikipedia). Im Zuge dessen kommt es nicht selten zu manifesten Veränderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation eines Unternehmens.

Die Palliative Care wird verstanden als umfassende Versorgung unheilbar erkrankter Menschen. Hierbei stehen nicht mehr Gesundung, Rehabilitation oder Lebensverlängerung im Fokus, sondern der Erhalt der grösstmöglichen Lebensqualität. Es geht darum, Lebensqualität zu verbessern, Schmerzen und Symptome zu lindern und das Sterben als einen natürlichen Vorgang zu betrachten. Diese Bemühungen werden gemeinsam im interprofessionellen Team geleistet. Die Definition der WHO besagt: «Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und deren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen: durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, untadelige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art» (WHO, 2002).

Alles beginnt mit einem Bekenntnis
Die Definition lässt erahnen, dass die strukturelle Ausrichtung auf Palliative Care zugleich einen grossen Schritt in der Entwicklung eines Pflegeheims bedeuten kann. Hierfür muss das Commitment der Führungskräften sowie Engagement und Qualifikation bei den Mitarbeitenden voraussetzt werden. Als hilfreich kann es sich erweisen, «Palliative Care» als strategisches Ziel in die Balanced Scorcard aufzunehmen. Bestenfalls ist es als Vision im betrieblichen Leitbild erwähnt. In jedem Fall sollte das Personal in diesen Prozess involviert werden, beispielsweise im Rahmen einer Kick-off-Veranstaltung oder einer Fachtagung.

Die Auslegeordnung bestimmen
Zunächst sollte der Ist-Zustand im Unternehmen erhoben werden. Die Leitung erhält dadurch einen Eindruck davon, «wo das Personal steht». Die Schweizerische Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung beschreibt in diesem Zusammenhang verschiedene «Core Values», die es anzustreben gilt (Eychmüller et al. 2001):

  • Symptomkontrolle
  • Multidimensionalität
  • Teamarbeit
  • Empathie und Respekt
  • Autonomie und Würde
  • Systemorientierung
  • Verfügbarkeit und Kontinuität
  • Prävention und Akzeptanz

Das eigene Personal und die internen Strukturen sind häufig nicht darauf vorbereitet. Bei Befragung gaben 50,4 Prozent der Pflegenden an, sich «unzureichend» oder «eher unzureichend» für die palliative Betreuung schwerkranker und sterbender Patienten ausgebildet zu fühlen. Sie liessen generell einen hohen Weiterbildungsbedarf erkennen (Becker et al. 2007). In anderen Studien konnte gezeigt werden, dass nebst dem Symptom-Management vor allem der Umgang mit ethischen Fragestellungen grosse Verunsicherung beim Personal erzeugt (Maier, 2013).

Werte, Haltungen und Fachkompetenz
Der Qualifikation des eigenen Personals kommt also eine zentrale Bedeutung zu. Entsprechend erscheint die Neuausrichtung des betrieblichen Schulungskonzepts unausweichlich und sollte nebst rein fachspezifischen Schulungen mit grosser Priorität behandel werden. Einen probaten Stufenplan schlägt die schweizerische Fachgesellschaft «palliative ch» vor:

A1-Basisschulungen
Es empfiehlt sich, A1-Basisschulungen auf breiter Ebene durchzuführen. Bei diesem Kurs setzen sich die Mitarbeitenden vertieft mit den Hintergründen, der Haltung von Palliative Care und ihrer persönlichen Sichtweise auseinander. Erfahrungsgemäss sollte diese Fortbildung nicht nur dem Pflegepersonal vorbehalten sein. Um im Sinne einer umfassenden Organisationsentwicklung den gewünschten « sozialen und kulturellen Wandel» herbeizuführen, ist es unterstützend, alle Mitarbeitenden mit «Kundenkontakt» an den Basisschulungen teilhaben zu lassen.

A2-Aufbaukurse
Eher an diplomiertes Pflegefachpersonal, FaGe, FaBe sowie Hauspfleger/-innen richten sich die aufbauenden A2-Vertiefungskurse, in denen u.a. das Fachwissen im Symptom-Management erweitert wird. Zudem erhalten die Teilnehmenden Grundlagenwissen zur ethischen Entscheidungsfindung.

B1-Vertiefungskurse
Die darauf aufbauenden B1-Schulungen gehen einen Schritt weiter und sind für Fachkräfte konzipiert, die sehr häufig mit palliativen Situationen konfrontiert sind. Neben fundiertem Wissen im Symptom-Management erlernen sie Strategien bei Notfällen, kennen die Grundsätze der palliativen Sedierung, kennen verschiedene Assessmentinstrumente und können diese sicher anwenden. Sie setzen sich vertieft mit ethischen Entscheidungsfindungen sowie spirituellen und religiösen Bedürfnissen in verschiedenen Kulturen auseinander. Ferner werden ihre eigenen Copingstrategien erweitert, um sich und andere vor Burnout und anderen Arbeitsstörungen zu schützen.

Strukturen und Prozesse
Verantwortliche und Thementräger/-innen innerhalb des Unternehmens zu Fragen in der Palliative Care sollten definiert werden, was sich im Organigramm und in den Stellenbeschreibungen niederschlägt. Denkbar ist ausserdem, die Anwendung des durch Fortbildung erworbenen Wissens in die individuellen Jahresziele der Mitarbeitenden aufzunehmen. Weitere Massnahmen können sein:

  • Überprüfung und Anpassung von Schnittstellen, Prozessen und Instrumenten.
  • Aufbau einer Ethikorganisation und Schulungen in Ethik (Maier & Kälin, 2015).
  • Integration der Abläufe und Instrumente in das betriebliche Qualitätsmanagement-System.
  • Regelmässige Kommunikation/Information des Personals über Aktivitäten in der Palliative Care.
  • Regelung, wie neue Mitarbeitende geschult werden sollen.
  • Marketingstrategie erarbeiten, mit der die Entwicklungen nach aussen getragen werden.

Zertifizierung mit dem Label «Qualität in der Palliative Care» von qualitépalliative
Im Rahmen der Nationalen Strategie Palliative Care des Bundes wurde die Fachgesellschaft «palliative ch» unter anderem damit beauftragt, den Qualitätsprozess in der Palliative Care weiter voranzubringen und auf eine breitere Basis zu stellen. Mit der ständigen Arbeitsgruppe Qualität des Schweizerischen Vereins für Qualität in Palliative Care «qualitépalliative» bemüht sich «palliative ch» seit vielen Jahren, die Qualität von spezialisierten Leistungserbringern im Bereich Palliative Care in der Schweiz zu überprüfen und zu verbessern. Dazu wurden verschiedene Qualitätskriterien erarbeitet, deren Erfüllung mit dem Label «Qualität in der Palliative Care» bekundet werden kann. Durch die Umsetzung dieser Kriterien trägt das Label-Verfahren per se zur Qualitätssteigerung in der Palliative Care bei, da zahlreiche Prozesse und Abläufe kritisch hinterfragt und verbessert werden.

Worin liegt der Nutzen für das Pflegeheim?
Diese vorangegangenen Überlegungen zur Organisationsentwicklung sind sicher aufwendig und nicht en passant erreichbar. Dies sollte keinesfalls abschreckend wirken – denn der «Return on Investment» schlägt sich auf verschiedenen Ebenen nieder:

In erster Linie dienen die Massnahmen den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie deren Angehörigen. Aber auch das eigene Personal profitiert davon: es wird weiterqualifiziert und lernt neue Techniken, wie beispielsweise den Umgang mit ethischen Fragestellungen. Das Verständnis für Palliative Care und die dahinter stehenden Werte, Haltungen aber auch Anforderungen werden dem nicht-pflegenden Personal zugänglich gemacht. Dies fördert die interprofessionelle Zusammenarbeit und das berufsübergreifende Verständnis für die Problemstellungen anderer Berufsgruppen. Somit gewinnt das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Betriebsklima, was sich wiederum positiv auf den Krankenstand und die Fluktuationsrate auswirken kann.

Unterstützung durch das Angebot des SGZ
Die aufgezeigten Massnahmen sind teilweise überlappend und sicherlich nicht abschliessend diskutiert. Allerdings setzt sich zusammenfassend die Erkenntnis durch, dass eine (inter)professionelle Palliative Care mehr ist, als nur ein «weiteres Projekt im Pflegeheim». Vielmehr ist sie ein Entwicklungsprozess, der – ernsthaft gelebt – für die gesamte Unternehmenskultur eines Hauses prägend sein kann. Ein zentraler Baustein des Erfolges ist die Bildung des Personals. Hier bietet das SGZ eine breite Palette an Bildungsangeboten, die inhaltlich am Modell der Fachgesellschaft «palliative ch» ausgerichtet sind (z.B. A1-Schulungen, A2-Schulungen, B1-Schulungen). Zur Begleitung beim Zertifizierungsprozesse zum Label «Qualität in der Palliativ Care» kann ein massgeschneidertes INEX-Beratungsangebot zusammengestellt werden.

Dr. phil. Marcel Maier
Beauftragter Organisations- & Qualitätsentwicklung
Pflegezentren Mattenhof, Irchelpark
Ab 01.01.2016: Leiter Schulungszentrum Gesundheit SGZ

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Kommentare: 0 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Pflege & Betreuung

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