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Demenz – Ein gesellschaftsrelevantes Thema

Interview: Beatrice Widmer im Gespräch mit Silvia Silva Lima

Demenz ist ein bedeutsames, gesellschaftsrelevantes Thema. Die Entwicklung der nationalen Demenzstrategie 2014-2017, die zum jetzigen Zeitpunkt in der Umsetzungsphase ist, zeigt dies. In den darin definierten Handlungsfeldern, Zielsetzungen und Projekten steht unter anderem die gesellschaftliche Entstigmatisierung im Fokus. Auch sollen Betroffene, deren An- und Zugehörige sowie weitere Kreise, einen besseren Zugang zu Informationen und Hilfestellungen erhalten. Im Weiteren sind darin auch Zielsetzungen zur Fachkompetenz und Qualität bei der Begleitung von Betroffenen festgehalten.

Betriebe im Gesundheitswesen setzen sich schon seit geraumer Zeit und in mehreren Dimensionen mit dem Thema Demenz auseinander. In diesem Blogbeitrag soll anhand eines expliziten Beispiels aufgezeigt werden, was in einer Institution in Sachen Demenz an Projekten verwirklicht worden ist. Und welche Schritte noch folgen werden, damit eine professionelle Begleitung von Menschen mit Demenz gewährleistet bleibt sowie ein Zuwachs von Professionalität gewährleistet werden kann. Aber auch, was konkret getan wird an Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Demenz.

Dazu hat Beatrice Widmer, Programmleiterin am SGZ, ein Interview mit Silvia Silva Lima geführt. Silva Lima ist seit 2013 in der Funktion als Fachexpertin Demenz im Pflegezentrum Entlisberg¹ tätig.

 

Interview

Widmer: Deine Rolle Fachexpertin Demenz ist sicherlich vielfältig. Kannst du uns bitte einen Einblick in dein Aufgabenfeld geben?

Silva Lima: Im Pflegezentrum Entlisberg ist Demenz ein wichtiges Thema, da wir acht Spezialabteilungen für die Betreuung von an Demenz erkrankten Menschen haben. Haltungsleitsätze mit Bezug zu alltäglichen Dilemmas sind für uns von zentraler Bedeutung; sie werden zur Implementierung nächstes Jahr als Wanderausstellung im Betrieb zu sehen sein. Diese müssen gefestigt und stetig weiterentwickelt werden. Als Fachexpertin Demenz bin ich dafür mitverantwortlich und auch Mitglied in diversen internen multidisziplinären Fachgruppen, bei denen das Thema Demenz eine Rolle spielt.

Zu meiner Kernaufgabe gehört, dass ich in komplexen Alltagssituationen, die Bewohnenden und Mitarbeitenden sowie deren An- und Zugehörige unterstütze. Wenn sich eine herausfordernde Situation auf einer demenzspezifischen Abteilung entwickelt, so leiste ich punktuelle und gezielte Entlastung für alle Beteiligten. Dabei habe ich den Fokus auf der Problemanalyse. Dem Team gebe ich bei Bedarf auch Inputs. Ferner leite ich die regelmässig stattfindenden Fallbesprechungen in den demenzspezifischen Abteilungen.

Auf jeder dieser Abteilungen ist zudem eine Person als Fachberatung Demenz tätig. Diese Mitarbeitenden verfügen über ein erweitertes Fachwissen und Erfahrungspotenzial und sind dafür besorgt, dass verbindliche Haltungs- und Handlungsgrundsätze auf den Abteilungen umgesetzt werden. Sie sind die direkten Ansprechpartner/-innen auf den Abteilungen für Fragen und Anliegen im Umgang mit demenzbetroffenen Bewohnenden und leiten Teammitglieder an. Ferner erteilen sie konstruktive Feedbacks zur Stärkung des Teams und zur Förderung der Lebensqualität von den Bewohnenden. Fachpersonen Demenz sind auf kritische Situationen sensibilisiert, die sich entwickeln können und fordern bei Bedarf interne und externe Ressourcen an, um kritische Situationen konstruktiv bewältigen zu können. Sie treffen sich regelmässig mit mir. An diesen Zusammenkünften stehen die Rollensicherheit der Fachpersonen Demenz, der fachliche Austausch sowie die Wissensvertiefung im Zentrum.

Auch bei massgebenden, anderen Projekten bin ich involviert. So zum Beispiel haben wir diesen Sommer einen «Monat der offenen Türen» veranstaltet. Menschen mit Demenz brauchen aus verschiedensten Gründen einen geschützten Lebensrahmen. Deshalb sind die demenzspezifischen Abteilungen weglaufgeschützt. Es kommt jedoch immer wieder vor, dass Bewohnende sich eingeengt fühlen, weil sie ihren Wohnbereich nicht autonom verlassen können. Die Mitarbeitenden geraten in solchen Situationen in ein Dilemma, nämlich: Autonomie versus Sicherheit. Während eines Monats haben wir alle Türen zum Garten geöffnet. Denn Bewegungsfreiheit ist auch Lebensqualität. Damit sich die Bewohnenden nicht plötzlich verloren fühlten, haben Pflegende in Form eines «Gartendienstes», welcher bei Bedarf eine individuelle Begleitung und Sicherheit vermittelte, die Bewohnenden in der neuen Umgebung begleitet. Das Aktivierungsteam stellte ihre Angebote im Garten zur Verfügung. Alle Bereiche im Haus haben aktiv zum Gelingen dieses Projekts beigetragen. Auch durch die Rekrutierung von zahlreichen freiwilligen Mitarbeitenden, die unterschiedliche Einsätze leisteten, konnte dieses Projekt schlussendlich durchgeführt werden. Wir sind zur Zeit an der Evaluation, wo sich zeigen wird, was wir aus diesem Projekt im Alltag fest etablieren können.

Auch innerhalb des Gesamtbetriebes PZZ (Pflegezentren der Stadt Zürich) habe ich diverse Aufgaben. Unter anderem war ich Mitglied der Arbeitsgruppe zur Erschaffung des «PZZ-Qualitätsparameters Betreuung von an Demenz erkrankten Menschen im stationären Bereich». Darin sind verbindliche Vorgaben definiert, die bis Ende 2017 in jedem Betrieb – entsprechend der individuellen Ressourcen und Strukturen – umgesetzt werden müssen. Im oben erwähnten Qualitätsparameter ist unter anderem auch definiert, dass alle Mitarbeitenden, auf ihre Funktion zugeschnittene Fortbildungen erhalten sollen. Hierfür wurde eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die den Auftrag hat, diese Fortbildungen zu kreieren, weiterzuentwickeln und zu gestalten. Da arbeite ich aktiv mit als Mitglied der Arbeitsgruppe und Dozentin bei den entsprechenden Fortbildungsmodulen.

Widmer: Angehörigenpflege ist gerade bei Menschen mit Demenz sehr wichtig. Welche Ressourcen oder Angebote stehen dafür zur Verfügung?

Silva Lima: Die Begleitung und Einbindung von Angehörigen ist uns wichtig. Ihre Anliegen und Erfahrungen fliessen bei der Betreuung mit ein. Es finden sowohl zeitlich vorgegebene Standortgespräche, als auch individuelle Austauschmöglichkeiten zwischen Angehörigen und Fachpersonen statt. Wir organisieren auch Angehörigenanlässe mit Informationscharakter, an denen ebenfalls die Gelegenheit zum Austausch besteht. Zusätzlich finden auf allen Abteilungen individuelle Angehörigenaktivitäten statt.

Widmer: Und welche Massnahmen werden im Zusammenhang mit der Freiwilligenarbeit umgesetzt?

Silva Lima: Freiwillige Mitarbeitende sind für uns eine unverzichtbare und kostbare Ressource. Sie tragen wesentlich zur Lebensqualität der Bewohnenden bei. Dazu wird in einer Arbeitsgruppe das Konzept der Freiwilligenarbeit angepasst. In regelmässigen Veranstaltungen mit Austauschmöglichkeiten werden sie fachlich begleitet.

Widmer: Demenz ist ein vielschichtiges, gesellschaftsrelevantes Thema. Öffentlichkeitsarbeit ist meiner Meinung nach äusserst wichtig, da die Entstigmatisierung immer noch weiter vorangetrieben werden muss. Seid ihr da auch aktiv?

Silva Lima: Im Pflegezentrum Entlisberg finden viele unterschiedliche Angebote statt: unter anderem haben wir am vergangenen Wollishofermarkt einen Marktstand mit dem Themenschwerpunkt Demenz betrieben. Freiwillige Mitarbeitende und Fachpersonen aus unserem Betrieb sowie dem Team Gerontologische Beratungsstelle und der Memory-Klinik haben die Standbetreuung übernommen und konnten da ein breites Publikum informieren. Bewohnende haben vorgängig mit den Mitarbeiterinnen der Aktivierung Entli-Guetzli gebacken, die wir an die Besuchenden verteilt haben. Ferner sind wir mit einem Glacé-Wagen durch den Markt gefahren und haben so zusätzlich auf uns aufmerksam gemacht.

Und weiter haben wir Mitarbeitenden einer Firma, die medizinische Hilfsmittel herstellt, einen Einblick in den Alltag von Menschen mit einer Demenz ermöglicht. Vorgängig wurden sie auf diesen Einblick vorbereitet. Es wurden verschiedene Aktivitäten angeboten, damit sie sich in die Situation und Lebenswelt von Menschen mit einer Demenz einfühlen konnten.

Widmer: Herzlichen Dank für das interessante Gespräch. In der Einleitung dieses Beitrages habe ich im Zusammenhang mit der nationalen Demenzstrategie den Begriff «Entstigmatisierung» erwähnt. Vielleicht stellen Sie sich gerade jetzt die Frage: «Warum eigentlich, ist Demenz immer noch ein gesellschaftliches Tabu? Das muss doch nicht sein …». Leider treten im Zusammenhang mit dieser ernsthaften Erkrankung zahlreiche Ängste und unbeantwortete Fragen auf. Dies nicht nur bei den Betroffenen und deren An- und Zugehörigen, sondern auch in breiten Kreisen der Gesellschaft. Denn «Demenz kann jeden treffen!» Kommt Ihnen diese Aussage irgendwie bekannt vor? Vielleicht haben Sie sie ja schon einmal irgendwo anders gelesen? Die Aufklärung finden Sie bei MEMO-INFO.CH.

¹Kurzporträt: Das Pflegezentrum Entlisberg ist einer von 14 Betrieben der PZZ und verfügt über sehr breitgefächerte Leistungsangebote im stationären und teilstationären Bereich. Unter anderem betreibt das Pflegezentrum Entlisberg ein Tageszentrum und weitere Angebote, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz ausgerichtet sind. Am selben Standort befinden sich die Gerontologische Beratungsstelle mit der Memory-Klinik.

Weiterbildungsangebote am SGZ zum Thema Demenz

 

Beatrice Widmer
Schulungszentrum Gesundheit SGZ
Programmleiterin Bildung
beatrice.widmer@zuerich.ch
angebot.wissen-pflege-bildung.ch

Kommentare: 0 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Pflege & Betreuung

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