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Spiritualität als Teil der palliativen Pflege und Betreuung

Text: Dr. phil. Marcel Maier

«Ja klar – gerne schreibe ich mal eben (!!!) eine Blogartikel zur Spiritualität». Vollmundig und motiviert ausgesprochene Worte anlässlich einer Teamsitzung im verschneiten Februar … Lange Zeit konnte ich den mir selbst auferlegten Auftrag erfolgreich verdrängen.

Aber irgendwann kam die grosse Ernüchterung: Beim Schreiben eines Artikels oder eines Blogbeitrag zu einem spezifischen Thema (wie hier zur Spiritualität), startet man in der Regel mit einer fundierten Definition desselbigen. Die geneigte Leserin/der geneigten Leser möchte auf das Thema eingestimmt werden. Es soll schliesslich eine fundierte Ausgangslage geschaffen werden.

 

Die verzweifelte Suche nach Definitionen

Nun sitze ich an diesem Blog zum Thema Spiritualität und versuche verzweifelt zu definieren. Im ersten Schritt werden die üblichen Verdächtigen konsultiert: Wikipedia, Duden und Google. Und in der Tat spuckt das Internet einige «passende» Ergebnisse aus. So meint Wikipedia beispielsweise: Spiritualität (von lateinisch spiritus «Geist, Hauch» bzw. spiro «ich atme» – wie altgriechisch ψύχω bzw. ψυχή, siehe Psyche) ist die Suche, die Hinwendung, die unmittelbare Anschauung oder das subjektive Erleben einer sinnlich nicht fassbaren und rational nicht erklärbaren transzendenten Wirklichkeit, die der materiellen Welt zugrunde liegt (Quelle: Wikipedia).

Google liefert in 0.61 Sekunden rund 600´000 Resultate – ich stelle meine weiteren Recherchen nach einer allgemeingültigen Definition ein. Auch auf den Verweis von Wikipedia, der da besagt: Es gibt keine allgemein anerkannte Definition des Begriffes (Quelle: Wikipedia).

 

Die Lösung liegt in der Reflexion

Nun, die Crux liegt vermutlich beim Thema selbst. Und es hilft, einmal selbst darüber zu reflektieren, was Spiritualität für einen persönlich bedeutet. Ist es der Glaube ans Transzendente: An Gott? Mehrere Götter? Schicksal? Esoterik? Die Wunder der Natur? Eine höhere Macht? Oder vielleicht sogar der Glaube an «Die Macht / The Force» (Möge sie mit Dir sein!)? Die Entscheidung obliegt uns ganz allein.

Ich denke, die Spiritualität durchdringt alle Dimensionen unseres menschlichen Lebens. Sie prägt alles, was dem Leben Sinn, Hoffnung, Vertrauen und Würde verleiht. Es sind also intensive psychische, höchstpersönliche Zustände und Erfahrungen, welche unsere Werte und ethisch moralische Vorstellungen formen und somit einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Lebensführung gewinnen – sie ist Teil unserer Identität, Teil unseres Wesens. Und als eine essentielle Dimension eines jeden Menschen scheint es folglich kaum möglich, dafür eine universelle Definition zu formulieren. Erleichtert nehme ich diese Einsicht zur Kenntnis – was mir das Studium von 600.000 Google-Einträgen erspart.

Aber kann Spiritualität nach den oben gewonnen Erkenntnissen als Synonym zur Religiosität verstanden werden? In den Bigorio-Empfehlungen von palliative.ch zu Palliative Care und Spiritualität wird hierzu festgehalten: Spiritualität lässt sich nicht auf Religion reduzieren: Jede Religion drückt in strukturierten Aussagen, Riten und Traditionen einen Teil dessen aus, was zur Spiritualität gehört. Keine aber kann behaupten, das Feld der Spiritualität gänzlich abzudecken (Quelle: palliative.ch).
Spiritualität geht also weiter als Religiosität – welche jedoch einen grossen Teil davon ein-nehmen kann.

 

Von der Spiritualität zur Spiritual Care

Forschungen deuten darauf hin, dass Spiritualität eine wichtige Rolle im Umgang mit Sinnfragen und bei der Bewältigung existentieller Krisen spielt. Dies mag einer der Gründe sein, weshalb das Thema vermehrt ins Bewusstsein der Gesundheitsprofession gerückt ist und der Anspruch gewachsen ist, vermehrt spirituelle Dimensionen in der Pflege und Betreuung einzubeziehen. Gerade in der Palliative Care wird dem Thema viel Aufmerksamkeit gewidmet. Auch die WHO bezieht in ihrer Beschreibung von Palliative Care die spirituelle Dimension explizit mit ein: «Vorbeugung und Linderung von Leiden durch frühzeitiges Erkennen, untadelige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art».

Die Integration von Spiritualität ist somit als wichtiger Bestandteil einer ganzheitlichen und interprofessionellen Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen zu verstehen. Spiritual Care wird zum wichtigen Teilaspekt – denn nicht selten entdecken Betroffene in der palliativen Situation neu die Kraft der Spiritualität. Gleichermassen kann unerfüllte Spiritualität von den Betroffenen als Ursache und Verstärker von Schmerzen und Beschwerden wahrgenommen werden.

 

Eine interprofessionelle Aufgabe

Spiritual Care wird zur Aufgabe aller Beteiligten des interprofessionellen Teams. Dies mit dem Ziel, ein Klima des spirituellen Wohlbefindens für alle Beteiligten zu schaffen. Der Zugang zu dieser Thematik ist jedoch in Anbetracht der Komplexität nicht immer ganz einfach und stellt einzelne Mitglieder des Betreuungsteams zuweilen vor grosse Herausforderungen. Zudem gilt es, die Spiritualität im hektischen Berufsalltag zu erkennen. Versteckte Signale der Betroffenen müssen interpretiert, aufgenommen und in die Pflege und Betreuung integriert werden. Verweigerungen oder die Unmöglichkeit eines Beziehungsaufbaus stellen ebenfalls grosse Hürden dar – welche die eigenen Erwartungen enttäuschen und zu emotionalen Belastungen führen können.

Jedoch kann sich ein sehr kreatives und erkenntnisreiches Feld eröffnet, wenn alternative Zugänge gesucht und ausprobiert werden können. Denn schliesslich ist dann – wie beim Verfassen dieses Blogartikels – eine Auseinandersetzung mit der eigenen Spiritualität unvermeidbar.

Habe ich nun Ihre Neugier zu diesem spannenden Thema geweckt? Mehr dazu erfahren Sie in unserem neuen Kurs «Spiritualität in der Palliative Care: Interprofessionelle Ansätze zur ganzheitlichen Begleitung», Start 29.11.2021.

 

Dr. phil. Marcel Maier
Leiter Schulungszentrum Gesundheit
marcel.maier@zuerich.ch
www.stadt-zuerich.ch/sgz

Kommentare: 0 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Pflege & Betreuung

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