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Zürcher Hygienesymposium

«Corona in der Langzeitpflege» – Bericht Zürcher Hygienesymposium

Text: Eveline Kühni, NOVAcura

Am 22. März 2022 haben im Rahmen des Zürcher Hygienesymposiums Expertinnen und Experten für Hygiene, Infektiologie und Medizin, Pflege, Ethik und Politik auf zwei Jahre Pandemie zurückgeschaut. Wie haben sie reagiert und sich informiert, was hat ihnen geholfen, womit haben sie gehadert und welche Lehren ziehen sie daraus? Die NOVAcura fasst für Sie den Tag zusammen.

«Corona» –  das Thema drängt sich förmlich auf an diesem ersten postpandemischen Hygienesymposium, sagt Gabriela Bieri zur Begrüssung. Nichts Vergleichbares hat die Ärztliche Direktorin der Gesundheitszentren für das Alter der Stadt Zürich in ihrer Karriere bisher erlebt: so viele alte (vulnerable) Menschen, die an einer Krankheit litten, über die so wenig bekannt war. Nie hat sie aber auch innerhalb so kurzer Zeit so viel über Übertragung, Verlauf, Diagnose oder Therapie einer neuen Infektionskrankheit gelernt und so intensiv und produktiv mit anderen Institutionen zusammengearbeitet.

 

Bewältigung und Nachsorge der Krise

Gleich erging es Morten Keller, Direktor der Städtischen Gesundheitsdienste Zürich und operativer Leiter des Fachstabs Pandemie. Unter seiner Leitung koordinierte der Fachstab die Aufgaben der Institutionen, die an der Pandemiebewältigung beteiligt waren: allen voran die Spitäler, Alters- und Pflegeheime und Verantwortlichen für die Beschaffung von Schutzmaterial, aber auch die Schulen oder Verantwortlichen für Finanzen und Recht. Von Februar 2020 bis März 2022 informierte der ehemalige Rechtsmediziner regelmässig an den Stadtratssitzungen über die Auswirkungen von COVID-19. «Nach der Pandemie ist vor der (nächsten) Pandemie», ist Keller überzeugt, deshalb wird aus dem Fachstab, dessen Ziel die Bewältigung der Krise war, in naher Zukunft die Fachstelle Pandemievorsorge.

Wenn Ruth Baumann Hölzle, Expertin für Ethik in Organisationen und in der Gesellschaft, in die Zukunft blickt, ist für sie zentral, dass die Verletzungen, die in den vergangenen zwei Jahren entstanden sind, heilen können (Einsamkeit, Angst, hohe Arbeitslast, viele Todesfälle, ethisches Dilemma zwischen Schutz vor Krankheit und Schutz der Integrität etc.). Baumann Hölzle fordert, dass Massnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie verhältnismässig, verbindlich, transparent und gut begründet sein müssen. Als ethische Regel zur «Verhältnismässigkeit Gesundheit» schlägt sie vor: die Bekämpfung einer Krankheit darf nicht höher gewichtet werden als die möglichen Begleitschäden (psychische Erkrankungen, erhöhte Suizidrate etc.) – im Bewusstsein, dass dieser Ansatz ein Dilemma nicht einfach auflösen kann, weil Fakten aus verschiedenen Perspektiven beurteilt werden und Moralvorstellungen unterschiedlich sind. Deshalb ist der Dialog zwischen den Disziplinen, etwa der Natur- und Sozialwissenschaften, oder zwischen verschiedenen Akteuren, Angehörigen und Heimleitungen zum Beispiel, unheimlich wichtig.

Christoph Berger, Leiter der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene in den Universitäts-Kinderkliniken Zürich, spricht über die mRNA-basierten COVID-19 Impfungen. Fazit seines Vortrags: die Impfungen schützen sehr gut vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen, wie Studien aus Grossbritannien, den USA, Kanada, Katar und Israel bestätigen. Zwar nimmt der Schutz vor einer Infektion mit der Zeit ab, der Schutz vor Hospitalisationen hält aber (auch durch die Booster-Impfung) zuverlässig an. Die Impfungen helfen also entschieden dabei, die Gesundheitssysteme zu entlasten bzw. die Gesundheitsversorgung sicherzustellen, was neben der Verminderung von schweren und tödlichen Fällen und der Reduktion von negativen gesundheitlichen, psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen als strategisches Impfziel des Bundes gilt.

 

Pandemie-Erfahrungen in Langzeit- und Spitexpflege

Christian Strübi, Elke Linsin, Gordana Bujic, Olaf Fritzen, Eva Horvath und Beatrix Wozny, alles Mitarbeiter/-innen Gesundheitszentrum für das Alter Gehrenholz bzw. Bombach in Zürich, erzählen, wie sie im Februar und März 2020 auf den Corona-Ausbruch in ihrem Heim reagierten; was sie damals beschäftigte, von welchen Annahmen über Infektionswege und Krankheitsverläufe sie ausgingen, was ihnen in Erinnerung bleibt. Hygienefachfrau Linsin zum Beispiel war damals zuversichtlich, die Übertragung der Viren mit den etablierten Hygienekonzepten vermeiden zu können, und Pflegeleiterin Bujic erinnert sich, wie sie vor allem damit beschäftigt war, Mitarbeitende zu beruhigen, die geschockt waren von den Nachrichten und Bildern aus Norditalien. Pflegeleiter Fritzen erinnert sich, wie er fünfminütige Einstellungsprozedere für neue Mitarbeiter/-innen durchführte, und das Haus nach seinen Ferien nicht wiedererkannte, weil innert kürzester Zeit Abteilungen zu Isolierstationen und viele Bewohnerinnen/Bewohner verlegt wurden.

Dass auch die ehemaligen Alterszentren mit ihren (sozial) aktiven Bewohnerinnen/Bewohnern und den durchgängigen Strukturen (keine voneinander getrennten Abteilungen) Hochrisikoorte für Corona-Ausbrüche sind, wurde Sacha Beck Anfang 2020 relativ schnell klar. Trotzdem wartete der Ärztliche Leiter und Pandemieverantwortliche der ex-Alterszentren vergeblich auf rasch eintreffende Guidelines der verantwortlichen Stellen. Die Realität von Alters- und Pflegeheimen – an die man heute den hohen Anspruch stellt, dass sie gleichzeitig Zuhause und Spital sind – erschien relativ spät auf dem politischen Radar. Beck ist überzeugt: Die Pandemie hat die bereits vorher bestehenden Probleme der Langzeitpflege sichtbar gemacht und akzentuiert. Er erinnert daran, wie wichtig Langzeitpflege-Institutionen in der älter werdenden Gesellschaft sind und wie wichtig gut ausgebildetes und fair entlöhntes Personal.

Ebenfalls stiefmütterlich wurde die Spitex zu Beginn der Pandemie behandelt. Erst rund zwei Monate nach dem ersten bestätigten COVID-19 Fall in der Schweiz gab das BAG die erste Empfehlung für die häusliche Pflege heraus. Silvia Schindler-Frei, Fachexpertin Infektionsprävention der Spitex Organisationen der Stadt Zürich, erinnert daran, wie wenig man über Übertragungswege, Inkubationszeit, Krankheitsverlauf, Therapie oder Risikogruppen im Zusammenhang mit dem neuen Virus wusste, und welcher Unsicherheit man ausgesetzt war. Ohne die Koordinationsgruppe der Stadtzürcher Spitex, Spitäler und Heime, die Wissen und Erfahrungen austauschten und Massnahmen koordinierten, wäre es nicht gegangen, ist Schindler-Frei überzeugt.

 

Über Corona im Spital, Fledermäuse und Corona im Heim

Adrian Schiblis Referat ist Zeugnis dafür, wie viel in wie kurzer Zeit getan und gelernt werden musste. Schon fast lustig mutet es an, wie der Leiter der Spitalhygiene im Stadtspital Triemli Zürich im November 2019 im Radio vor den lauernden Grippeviren warnte, und erklärte, wie wichtig Händewaschen ist. Schibli erzählt, wie ihn ein Freund Anfang des Jahres auf einen Artikel in der South China Morning Post, in dem es um virale Pneumonien in Wuhan ging, aufmerksam machte, wie es erste Verdachtsfälle im Triemli gab, einen ersten bestätigten Fall von einer Person, die aus Mailand zurückkehrte, und bald darauf erste Fälle ohne Reiseanamnese. Wie der Lockdown zwar die Übertragung entschieden gebremst hat, aber in seinem professionellen Umfeld allen klar war, dass COVID-19 nicht in wenigen Tagen vorbei sein wird, und wie innerhalb von zwei Jahren im Triemli eine Abklärungs- und eine COVID-Station, ein Test- und ein Impfzentrum je nach Bedarf auf-, ab- um- oder ausgebaut wurde.

Gerhard Eich, Abteilungsleiter Infektiologie und Spitalhygiene, ebenfalls Triemli, spricht über die verschiedenen Coronaviren. Über SARS-CoV-1 (SARS), das 2003 auftrat und nicht mehr zirkuliert, und über SARS-CoV-2 (COVID-19), das nicht verschwinden wird, und dessen Träger anders als bei der Variante von 2003 infektiös sind, bevor Symptome auftreten. Über MERS-CoV (MERS), das fast ausschliesslich in Saudi Arabien auftritt und häufig tödlich verläuft, aber auch über banale Coronaviren, die etwa 15 Prozent der Erkältungen, häufig bei Kleinkindern, verursachen. Er erklärt, wie Viren von Tieren auf Menschen überspringen (MERS etwa von Fledermäusen via Kamele), wie rasch sie sich vermehren und genetisch verändern, also mutieren können – und wie exemplarisch COVID-19 für all das war.

Zum Schluss stellen Heike Geschwinder, Leiterin Pflegeforschung & Pflegewissenschaft der Gesundheitszentren für das Alter Stadt Zürich und Gaby Bieri eine Analyse der Epidemiologin Céline Mbilo vor. Die Studie dokumentiert u. a. Zeitpunkt von Ausbrüchen und Verlauf von Krankheiten in den ehemaligen Pflegezentren während der ersten Coronawelle oder identifiziert Infektionsquellen. Die Analyse geht auf Reihen- und Ausbruchstestungen bei Bewohnerinnen/Bewohnern und Mitarbeitende zurück. Fazit der Studie: 1. In den ehemaligen Pflegezentren weist COVID-19 eine hohe Fallsterblichkeit auf, was auf die hohe Pflegebedürftigkeit der Betroffenen zurückzuführen ist. 2. Eine Ansteckung führt bei den Bewohnerinnen/Bewohnern nicht unbedingt zu einem schweren Verlauf, am häufigsten waren leichte Verläufe. 3. SARS-CoV-2 wird eher innerhalb als zwischen den Abteilungen übertragen und häufiger vom Personal auf Bewohnerinnen/Bewohner als umgekehrt.

Alle Vorträge im Rahmen des Hygienesymposiums zeigen: die Referentinnen/Referenten und ihre Mitarbeiter/-innen haben vor 2020 nichts erlebt, was mit Corona vergleichbar wäre. Die zu Beginn spärlichen und unsicheren Informationen über das neue Virus (später die Unmengen darüber), die hohe Arbeitslast und emotionale Belastung waren enorme Herausforderungen. Die Krise hat aber auch offenbart, wie viel Wissen und Projekte in wie wenig Zeit generiert bzw. realisiert werden können – und wie wichtig eine fachlich und institutionell übergreifende Zusammenarbeit und Kommunikation ist.

Eveline Kühni
Herausgeberin NOVAcura
Das Fachmagazin für Pflege und Betreuung

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Kommentare: 0 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Pflege & Betreuung

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