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Bericht zum 1. Zürcher Symposium Gerontopsychiatrie

Text: Eveline Kühni, Hogrefe Verlag

Psychische Erkrankungen im Alter: Wie institutionelle Übertritte gelingen können

Was ist wichtig, wenn ein psychisch erkrankter Mensch vom Alters- und Pflegeheim in die psychiatrische Klinik verlegt werden muss? Was, wenn er von dort wieder zurückkommt? Welche Informationen sind wichtig, wie werden sie übermittelt? Was können die Fachpersonen tun, damit es den Betroffenen möglichst wohl ist? Im Rahmen des Zürcher Gerontopsychiatrie-Symposiums mit der Mission «Brücken bauen» haben sich im Gesundheitszentrum für das Alter (GFA) Entlisberg Fachpersonen aus dem Akut- und Langzeitbereich getroffen, um sich über diese Fragen auszutauschen.

«Wir brauchen die Kliniken, und die Kliniken brauchen uns», sagt Helmut Bernt in der Podiumsdiskussion, mit der das Symposium eröffnet wird. Der Pflegedienst-Leiter des Gesundheitszentrums Entlisberg weiss: seine Bewohner*innen haben Hochs und Tiefs. Erleben sie ein Tief, brauchen sie die Unterstützung der hochspezialisierten Klinik. Umgekehrt ist die Klinik aber auch auf die spezialisierte gerontopsychiatrische Abteilung angewiesen, die das Zentrum Entlisberg führt; nämlich dann, wenn austretende Patient*innen weder nach Hause noch ins «normale» Pflegeheim können. Weil man aufeinander angewiesen ist, ist es wichtig, dass man einander kennt und vertraut, sind sich Gaby Bieri, Ärztliche Direktorin der Gesundheitszentren Zürich, und Anna-Maria Kuhle, Leiterin der Pflege in der Klinik für Alterspsychiatrie (Psychiatrische Universitätsklinik Zürich) einig. «Wir müssen darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter*innen der verschiedenen Institutionen ihr Bestes geben», sagt Kuhle, aber uns auch bewusst sein, «dass die Spezialist*innen in der Klinik keine Wunder vollbringen können», wie Harald Müller ergänzt. Auf die Frage, wie man unnötige Verlegungen zwischen Langzeit- und Akutbereich vermeiden könnte, schlägt der Pflegedirektor des Sanatorium Kilchberg ambulante konsiliarische Behandlungen im Pflegeheim vor. So liessen sich Stress vermeiden und Ressourcen schonen. Die Ressourcen, die finanziellen, rufen Andreas Hauri, Vorstehender des Gesundheits- und Umweltdepartements der Stadt Zürich auf den Plan: «Wir aus der Politik wollen die (finanziellen) Rahmenbedingungen schaffen, damit Sie alle zugunsten der betroffenen Menschen Ihrer Arbeit nachgehen können.» Ein patientenbezogener Daten- und Informationsaustausch über die Professionen und Institutionen hinweg habe auch auf der politischen Agenda hohe Priorität.

 

Drei Keynotes: Beruhigen, zulassen, lachen

Was macht die alltägliche Pflege und Betreuung – geschweige denn einen Institutionsübertritt – psychisch erkrankten Patient*innen bzw. Bewohner*innen so schwierig? «Sich selbst und damit die Betroffenen beruhigen, Anspannungen lindern, Situationen deeskalieren», das müssen Pflegende von demenzbetroffenen Menschen immer und immer wieder, weiss Christian Müller-Hergl. «Wir müssen davon wegkommen, die Menschen, die schreien, schimpfen, mit den Händen essen oder lieber kriechen als gehen, zivilisieren zu wollen», ist der Altenpfleger und DCM-Trainer überzeugt. Die Kunst des Zulassens sei erklärtes Ziel. Im Alltag mit Demenzbetroffenen haben Ordnung und Sauberkeit nicht höchste Priorität. Auf einer Demenzstation etwa bleiben Dinge liegen, und es darf kein Problem sein, wenn Betroffene am Mittag noch im Pyjama sind. Unterdrücken wir ihr sogenanntes herausforderndes Verhalten, berauben wir sie vielleicht ihrer einzigen Möglichkeit, sich mitzuteilen und zu äussern.

Nicht intervenieren, sondern zulassen, ist auch das Rezept von Judith Weiss, die im Zentrum Reusspark im Kanton Aarau einen Wohnbereich für ältere Personen mit psychischen Erkrankungen leitet. «Wir wollen unsere Bewohner*innen nicht heilen, sondern ihnen mit ihren Symptomen ein gutes Leben ermöglichen.» Weiss erzählt von einem Mann, der neu in ihre Institution kam, nachdem er während 15 Jahren in 20 verschiedenen Einrichtungen war. Von Anfang an zeigte er kein Interesse daran, seinen Alltag im Reusspark zu verbringen, dafür ein umso grösseres daran, lange Ausflüge zu machen. Weil der Mann nicht suizidal war, niemanden angriff (ausser intervenierende Pflegende), ein GA für den öffentlichen Verkehr besass und sich gut orientieren konnte, entschied sich Weiss, das zuzulassen. Bedingung war, dass er im Reusspark schlafen und seine Medikamente einnehmen musste. Tatsächlich wurden die Ausflüge und verbalen Aggressionen mit der Zeit weniger. «Haben Sie den Mut, anders zu handeln, geben Sie so viel Freiraum wie möglich, und unterstützen Sie da, wo es nötig ist», empfiehlt die klinische Fachspezialistin als Fazit ihres Fallbeispiels.

Mut zum Humor wiederum, ist der Rat von Humortherapeut und Demenzberater Markus Proske. Wollen wir Demenzbetroffenen helfen, müssen wir mit ihnen in Beziehung treten, mit ihnen kommunizieren – ein nicht einfaches Unterfangen. Wir haben die Aufgabe, die richtige Sprache zu finden. Oft ist dabei nicht das Was, sondern das Überhaupt und Wie entscheidend. Das veranschaulicht der Film, der Proske dabei zeigt, wie er mit Demenzbetroffenen spricht bzw. mit ihnen Spässe macht oder vermeintlich gehaltslose Gespräche führt. Humor ist für ihn nicht bloss Lachen, sondern eine Haltung der Nachsicht und Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber und eine Möglichkeit, Nähe und Vertrauen, letztlich Menschlichkeit zu erzeugen.

 

Gemeinsam Brücken bauen und den Austausch pflegen

Nachdem es in den Keynotes vornehmlich um die Beziehungsgestaltung zwischen Fachpersonen und Betroffenen ging, wurde am Nachmittag der Faden der institutionellen Zusammenarbeit wieder aufgegriffen. Unter der Leitung von Vertreter*innen der Gesundheitszentren für das Alter, der Psychiatrischen Universitätsklinik und des Sanatorium Kilchberg diskutierten die Teilnehmer*innen der Veranstaltung aus den Bereichen Medizin, Sozialdienst, Pflege und Therapie folgende Fragen: Welchen Schwierigkeiten begegnen Sie, wenn jemand aus Ihrer Institution in eine andere übertritt? Wie kann man den Informationsfluss zwischen Klinik und Heim optimieren? Wie können Erfahrungswissen und Informationen über individuelle Bedürfnisse der Betroffenen, die über einen Überweisungsrapport oder Austrittsbericht hinausgehen, gesammelt und weitergegeben werden? Wie gelingt eine optimale Platzierung? Wie können weitere Verlegungen vermieden werden?

Unter der Leitung des Moderatorenpaars Ramona Abderhalden und Yves Thomas Brandenberger präsentierten die Gruppen ihre Erkenntnisse anschliessend im Plenum. Mögliche Ansätze waren: bestehende, ambulante Angebote kennen und nutzen, regelmäßige interdisziplinäre Treffen auch innerhalb der Institution, gegenseitiges Hospitieren, aber auch einfach mal zum Telefon greifen und anrufen, wenn möglich genügend Vorlaufzeit einplanen vor einem Übertritt und Bezugspflegepersonen involvieren, Ansprechpersonen definieren und bekanntmachen, Erwartungen klar formulieren und adressieren, auch mal den verlegten Patienten selbst anrufen, oder interprofessionelle Dokumentation führen.

Diese Ergebnisse und die abschliessende Diskussion machen es deutlich: Man muss Beziehungen und Netzwerke aufbauen und pflegen, und bereit sein, über den Tellerrand zu schauen, tragfähige Brücken zu bauen und mutige Entscheidungen zu treffen – im Umgang mit Arbeitskolleg*innen in der eigenen Institution und den anderen involvierten Institutionen, aber auch im Umgang mit den psychisch erkrankten Betroffenen. Wertschätzung und Respekt ist Grundvoraussetzung für jede gelingende Zusammenarbeit.

Kommentare: 0 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Gerontopsychiatrie

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