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Demenz und Humor – Rückblick

Text: Eveline Kühni, NOVAcura

Humor ist ernst zu nehmen: Weil er für Demenzkranke und ihre Angehörigen befreiend wirkt und ihr Wohlbefinden positiv beeinflusst. Pflege- und Betreuungspersonen können ihn als Ressource nutzen, um Barrieren abzubauen und Vertrauen zu bilden. Wie das gelingen kann, zeigten Vertreter*innen aus Wissenschaft und Praxis am Zürcher Demenzsymposium vom 20. Juni 2023.

Über, trotz oder mit Demenz zu lachen, ist nicht einfach, findet Andreas Hauri. Das hat auch damit zu tun, dass Demenz nach wie vor ein Tabuthema ist, über das viele nur wenig wissen. Verwaltungen, Dienstleistungsbetriebe und Firmen für Menschen mit Demenz zu sensibilisieren, sei deshalb nach wie vor ein wichtiger Punkt in der politischen Agenda der Stadt Zürich. Nur so können vorhandene Ressourcen (wie Humor) optimal genutzt werden, ist der Stadtrat und Vorsteher des Gesundheitsdepartements überzeugt.

Nicht nur Demenz, sondern auch Humor kann ein Tabuthema sein – jedenfalls in der Forschung. Das bekam Willibald Ruch immer wieder zu spüren. Dem Humor als seriöses Forschungsgebiet weht(e) (lange) ein rauer Wind entgegen, sagt der emeritierte Professor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Zürich. Das, obwohl Humor in zahlreichen Studien immer wieder als wichtige Variable für Lebenszufriedenheit eruiert wird. Innerhalb einer Pilotstudie konnten er und seine Mitarbeiterinnen anhand der Mimik von Menschen mit Demenz (Facial Action Coding System) und Tagebucheinträgen der Mitarbeitenden nachweisen, dass Humorinterventionen (Besuch eines Clowns) im Alters- und Pflegeheim das Wohlbefinden von Demenzbetroffenen steigern.

 

Poesie und Slapstick

Poetry Slammer Lars Ruppel aus Berlin ist überzeugt, dass Poesie in der Arbeit mit demenzkranken Menschen ein wichtiges Mittel ist, um ihnen im oft reizlosen Alltag Kultur zu vermitteln und mit Würde zu begegnen. «Menschen mit Demenz verlieren ihre Sprache und damit ihre Welt, jedes Wort, jeder bekannte oder unbekannte Reim, vergrössert ihre Welt wieder ein kleines bisschen.» Bei seiner Arbeit mit Betroffenen merkt Ruppel regelmässig, wie stark ihr Bedürfnis nach Reimen und Gedichten ist: Nach solchen, die sie kennen, aber auch nach neuen und unbekannten. Pflegende und Betreuende ermuntert er, Berührungs- und Vortragsängste abzubauen und sich Kenntnisse über die Biografie der Menschen mit Demenz anzueignen.

Der Heiterkeitspfleger Dhani Heiniger, der als Clown Wieni mit Clown Fridolin (Fredi Buchmann) die Symposium-Besucher*innen begrüsst und verabschiedet, plädiert dafür, humorvolle Interventionen zu planen und zu budgetieren, damit sie im hektischen Pflegealltag nicht vergessen gehen. Dabei sei es wichtig zu wissen, in welchem Stadium der Demenz welche Art von Humor ankommt. Sarkasmus, Ironie oder Satire funktioniert z. B. ab einem mittelschweren Demenzgrad nicht mehr, Slapstick allerdings nach wie vor. Auch Heiniger verweist darauf, wie wichtig es ist, die Biografie von Menschen mit Demenz zu kennen. Er ist überzeugt, dass wir uns alle in Humor und Heiterkeit üben können, um ihn in schwierigen und belastenden Situationen besser und schneller wieder zu finden (Stichwort: Humor-Training).

 

Weckworte und Dessert

Nach dem Mittagessen gibt Lars Ruppel in seinem Weckworte-Workshop Tipps, wie man demenzkranke Menschen mit Gedichten erreichen kann. Gedichte müssen spürbar sein, etwa durch Berührung oder Gesten («Mutterns Hände»). Besonders gut kommen Schlüsselgedichte an, die Ruppel praktisch nie komplett vorträgt, sondern abkürzt oder variiert/adaptiert («Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland»). Verfällt man als Vortragende(r) zu sehr in Routine, verpufft die Wirkung eines Gedichts oder eines Reims, deshalb rät Ruppel zu immer neuen Gedichten/Variationen. Besonders ans Herz legt er allen, die mit Demenzbetroffenen arbeiten, Rilkes «Panther»: «Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe/und hinter tausend Stäben keine Welt.»

Zusammen Kaffee trinken und Kuchen essen, Musik hören, sich über eine Clownin freuen oder über sie staunen: Das können Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen beim Humor-Dessert im Quartiertreff Hirslanden in Zürich tun. Mitinitiantin, Clownin und Assistenzärztin Rebekka Vermeer und Mitorganisatorin Claudia Kümin waren beide noch sehr jung, als ihre Mütter an Demenz erkrankten. Sie lernten sich beim Angehörigentreff von Alzheimer Zürich kennen, bald entstand und reifte die gemeinsame Idee für das Demenz-Kaffee, das 2017 ins Leben gerufen wurde und seither rund einmal pro Monat stattfindet. Weil das Angebot niederschwellig sein soll, ist es kostenlos, braucht keine Anmeldung, ist offen für alle Generationen und hat (innerhalb eines Zeitfensters) keine festen Anfangs- und Schlusszeiten.

 

Ja-Kommunikation und Sternstunden

Humor hilft – gerade dann, wenn es besonders schwierig ist. Davon ist Psychiatriepflegefachfrau und Gerontobeauftragte der Psychiatrie St. Gallen Claudia Murk überzeugt. In Inhouse-Kursen in Alters- und Pflegeheimen, Spitälern oder anderen sozialen Institutionen zeigt sie den Mitarbeitenden, wie sie sich trotz schwieriger Umstände in «heiterer Gelassenheit» üben können. In ihrem Vortrag gibt sie viele konkrete Tipps für die Demenzpflege. Sie rät zur Ja-Kommunikation («Ja, ich weiss, du hast so gern Geburtstag» statt «Nein, heute ist nicht dein Geburtstag») oder dazu, nie zu streiten. Statt darauf zu bestehen, dass der Bewohner ein sauberes Hemd anzieht, kann man in einer Viertelstunde den Wunsch nochmals adressieren, oder eine Kollegin bitten, es zu versuchen. Voraussetzung für die anspruchsvolle Demenzpflege sei, zu sich selbst zu schauen, «denn wer sich aufopfert, wird selbst zum Opfer.»

Daniela Holenstein von der Spitex Zürich stellt mit ihrer Tochter Sophie, ebenfalls Spitex Zürich, ein Angebot vor, dass selbst einigen Spitex-Mitarbeiter*innen im Publikum noch nicht bekannt ist. Innerhalb der Organisation gibt es einen Spendenfonds, der es den Mitarbeiter*innen ermöglicht, mit den Kund*innen zusätzlich zu den vereinbarten Pflege- oder Betreuungsleistungen Zeit zu verbringen und ihnen eine Freude zu machen. Eine sog. Sternstunde kann ein Ausflug in die Stadt, ein Museumsbesuch mit anschliessendem Essen oder gemeinsames Gärtnern sein. Eine Teilnehmerin aus dem Publikum empfiehlt das unkomplizierte Angebot sehr – gerade für einsame Menschen.
Schliesslich findet unter der Moderation von Cornelia Kazis, die durch den ganzen Tag geführt hat, ein Podiumsgespräch statt. Beat Hänni, Stiftungsratspräsident der Stiftung Humor und Gesundheit, weist nochmals darauf hin, dass Humor eine unverzichtbare Ressource in der Alterspflege ist. «Wegen seiner heilsamen Wirkung ist er als Führungs-, Pflege- und Therapiekonzept sehr ernst zu nehmen.» Sozialdiakonin Monika Hänggi Hofer, die im Zürcher Kirchenkreis 6 mit Senior*innen arbeitet, ist überzeugt, dass Humor ein Türöffner ist, der aber seine positive Wirkung nur entfalten kann, wenn bewusst Freiräume dafür geschaffen werden, während Christina Lienhard, Stiftungsratspräsidentin der Stiftung Lebensfreude, dafür plädiert, dass wir wieder generationen-übergreifender leben. «Es ist wichtig, die Tage mit Leben, und nicht, das Leben mit Tagen zu füllen.»

 

Link: Präsentationen, Impressionen des Zürcher Demenzsymposiums

 

Save the Date: Dienstag, 4. Juni 2024

 

Kommentare: 2 | Autor: SGZ | Kategorien: Kategorie Allgemein, Kategorie Pflege & Betreuung

Kommentare zum Artikel

  1. Vincenzo Paolino Kommentar vom 30.06.2023

    Schöne Zusammenfassung, vielen Dank!

    Zwei Fragen bleiben für mich:

    – warum war niemand dabei, der betroffen ist?
    – warum wird die „reizlose Umgebung“ von stationären Angeboten, in denen Demenzbetroffene leben, als unveränderlich hingenommen?

    • SGZ Kommentar vom 30.06.2023

      Sehr geehrter Herr Paolino
      Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung. Auch für Ihre beiden Warum-Fragen. Diese bleiben hier offen, da sich für deren Beantwortung andere Kommunikationsgefässe wesentlich besser eignen.

      Herzliche Grüsse
      OK-Komitee ZH Demenzsymposium

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